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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt
Autoren: James Herriot
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nicht.« Er drehte mir sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht zu, in dem ein Ausdruck von Verwirrung lag. »Ich kann verstehn, daß es einige von den Mutterschafen krank macht, von einem Hund gejagt zu werden, aber warum, zum Teufel, haben gleich alle daran glauben müssen?«
    »Das weiß ich auch nicht, Rob«, sagte ich.
    Und auch jetzt, dreißig Jahre später, frage ich mich das immer noch. Ich weiß bis heute nicht, warum, zum Teufel, gleich alle daran glauben mußten.
     
    Da ich der Ansicht war, Rob habe zur Zeit genügend Sorgen, verschwieg ich ihm meine Beunruhigung, daß die Geschichte mit dem Wolfshund doch noch weitere Folgen haben könnte. Und so überraschte es mich nicht, als ich wenige Tage später ein weiteres Mal zur Benson-Farm gerufen wurde.
    Ich traf Rob wieder oben auf dem Hügel, wo immer noch der gleiche Wind über die aus Strohballen improvisierten Verschläge peitschte. Eine wahre Geburtenwelle war ausgebrochen, und der Lärm war größer denn je. Rob führte mich zu meiner Patientin.
    »Ich glaube, die da hat nur tote Lämmer im Bauch«, sagte er, auf ein Mutterschaf deutend, das mit herabhängendem Kopf und keuchenden Flanken dastand. Es machte keine Anstalten, davonzulaufen, als ich mich ihm näherte; das Tier war wirklich krank, und als mir der Gestank von Fäulnis in die Nase drang, wußte ich, daß die Diagnose des Bauern richtig war.
    »Bei einem mußte nach dieser Sache ja was passieren«, sagte ich. »Das wundert mich gar nicht. Nun, lassen Sie uns sehen, was wir machen können.«
    Eine Arbeit wie diese machte nicht den geringsten Spaß, aber sie mußte getan werden, um das Mutterschaf zu retten. Die Lämmer waren verwest, ihre Bäuche aufgetrieben. Ich enthäutete die Beine mit einem scharfen Skalpell bis zu den Schultern, um die kleinen Körper mit dem geringsten Unbehagen für die Mutter herausholen zu können. Als ich fertig war, hing der Kopf des Mutterschafes fast bis zum Boden, es atmete keuchend und knirschte mit den Zähnen. Ich hatte ihm nichts zu bieten – kein zappelndes kleines Wesen, das es lecken und das seine Lebensgeister wieder wecken konnte. Was es brauchte, war eine Penicillinspritze, aber wir schrieben das Jahr 1939, wo es noch keine Antibiotika gab.
    »Das Tier ist schlimm dran«, brummte Rob. »Sehen Sie irgendwelche Hoffnung?«
    »Ich lege einige Pessare ein und gebe ihm eine Spritze, aber viel wichtiger wäre ein kleines Lämmchen, für das es sorgen kann. Sie wissen so gut wie ich, Rob, daß Mutterschafe in diesem Zustand für gewöhnlich aufgeben, wenn sie nichts haben, womit sie sich beschäftigen können. Haben Sie nicht irgendein Neugeborenes, das wir ihm unterschieben können?«
    »Nein, im Augenblick nicht. Und gerade jetzt braucht es eins. Morgen ist es zu spät.«
    Just in diesem Moment kam eine bekannte Gestalt in Sicht – Herbert, das Lämmchen, von dem niemand etwas wissen wollte, leicht zu erkennen an der Art, wie es sich auf Nahrungssuche von einem Schaf zum anderen bewegte.
    »Was meinen Sie, ob unser Schaf hier den kleinen Burschen annehmen würde?« fragte ich den Bauern.
    Er blickte zweifelnd drein. »Ja, ich weiß nicht – er ist immerhin schon fast zwei Wochen alt. Ein Neugeborenes wäre besser.«
    »Aber finden Sie nicht, wir sollten es versuchen? Und den alten Trick probieren?«
    Rob grinste. »Na gut, versuchen wir’s. Wir haben ja nichts zu verlieren. Viel größer als ein Neugeborenes ist der kleine Kerl ja nicht. Ist nicht so schnell gewachsen wie seine Altersgenossen.« Er zog sein Taschenmesser heraus, enthäutete rasch eines der toten Lämmer und band das Fell über Herberts Rücken.
    Und das Lamm, resolut wie es war, begab sich schnurstracks unter das kranke Mutterschaf und fing an zu saugen. Anscheinend hatte es nicht viel Erfolg, denn es versetzte dem Euter ein paar energische Stöße mit seinem harten Schädel; gleich darauf wackelte das Schwänzchen.
    »Jedenfalls darf er ein paar Schlucke trinken«, sagte Rob lachend.
    Herbert war nicht von der Sorte, die man übersehen konnte, und das große Schaf, so krank es auch war, mußte einfach den Kopf wenden und ihm einen Blick schenken. Es beschnüffelte mißtrauisch das übergebundene Fell, fuhr ein paarmal rasch mit der Zunge darüber und ließ dann das vertraute tiefe Glucksen ertönen.
    Ich suchte meine Instrumente zusammen. »Ich hoffe, er schafft’s«, sagte ich. »Die beiden brauchen einander.« Als ich die Weide verließ, war Herbert in seinem neuen Kleid noch
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