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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt
Autoren: James Herriot
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sie sich umwandte, um ihr Lamm zu lecken, und wanderte jetzt prüfend zwischen den anderen Mutterschafen umher. Einige von ihnen verscheuchten ihn mit energischem Kopfschütteln, aber schließlich gelang es ihm doch, sich an ein großes, kräftig gebautes Schaf heranzuschleichen. Kaum hatte Herbert seinen Kopf unter das Tier geschoben, als es sich umdrehte und mit seinem harten Schädel heftig zustieß, so daß Herbert hoch durch die Luft flog und mit einem dumpfen Aufprall auf dem Rücken landete. Als ich eilig auf ihn zulief, sprang er auf und trabte davon.
    »Alte Gifthexe!« rief der Bauer achselzuckend, als ich mich ihm fragend zuwandte. »Ich weiß, für den Kleinen ist es schwer, aber ich hab das Gefühl, er will es lieber so, als mit den anderen Neugeborenen im Pferch gehalten und zusätzlich gefüttert zu werden. Sehen Sie sich das an!«
    Unerschrocken näherte sich Herben einem anderen Mutterschaf, und als das Tier sich über den Futtertrog beugte, schnappte er nach dem Euter, und wieder trat der kleine Schwanz in Aktion. Kein Zweifel, dieses Lamm hatte Mumm.
    »Wie kommen Sie gerade auf Herbert?« fragte ich Rob, als er meine zweite Patientin einfing.
    »Ach, das ist der Name meines jüngsten Buben, und das Tierchen ist genau wie er. Muß auch immer seinen Kopf durchsetzen und hat vor nichts Angst.«
    Ich untersuchte das zweite Schaf. Hier gab es ein herrliches Durcheinander von drei Lämmern; kleine Köpfe und Beine, ein winziger Schwanz, alle wollten hinaus ins Freie und hinderten einander doch aufs schönste daran, sich auch nur einen Zoll zu bewegen.
    »Quält sich schon den ganzen Morgen herum und kann nicht werfen«, sagte Rob. »Da muß doch etwas nicht in Ordnung sein.«
    Mit einer Hand behutsam in der Gebärmutter umhertastend, machte ich mich daran, das Knäuel zu entwirren, eine Arbeit, die mir immer großes Vergnügen machte. Ich mußte einen Kopf und zwei Beine zu fassen haben, um ein Lamm auf die Welt befördern zu können – aber sie mußten zu demselben Lamm gehören, sonst saß ich in der Tinte. Das bedeutete, jedes Bein in seiner ganzen Länge abzutasten, um herauszufinden, ob es sich um ein hinteres oder um ein vorderes handelte, und ob es sich mit dem Rücken verband oder sich in der Tiefe verlor.
    Nach ein paar Minuten hatte ich ein Lämmchen mit all seinen Gliedern beieinander, doch als ich die Beine ans Tageslicht brachte, verdrehte sich der Hals, und der Kopf glitt zurück; es gab kaum genügend Platz, daß er zusammen mit den Schultern durch das Becken kommen konnte, und ich mußte ihn mit einem Finger in der Augenhöhle behutsam hindurchziehen. Die Knochen preßten sich schmerzhaft gegen meine Hand, aber nur für ein paar Sekunden, denn das Mutterschaf gab der Sache noch einen letzten Schub, und die kleine Nase kam zum Vorschein. Der Rest war ein Kinderspiel, und wenige Augenblicke später lag das winzige Geschöpf im Gras. Es schüttelte ein paarmal krampfhaft den Kopf, und der Bauer rieb es rasch mit Stroh ab, ehe er es der Mutter hinschob.
    Sofort fing sie an, ihm Gesicht und Hals zu lecken, wobei sie jene tiefen, glucksenden Laute der Zufriedenheit von sich gab, wie man sie nur zu dieser Zeit von einem Schaf zu hören bekommt. Und diese wohligen Laute waren auch dann noch zu vernehmen, als ich zwei weitere Lämmer, eines davon mit dem Hinterteil zuerst, ans Tageslicht beförderte, und beim Abtrocknen meiner Arme sah ich dem Muttertier zu, wie es erfreut an seinen Drillingen herumschnüffelte.
    Bald fingen die Kleinen an, ihr mit zitternden, hohen Rufen zu antworten, und als ich meine Jacke anzog, versuchte Lamm Nummer eins schon, sich auf die Knie zu rappeln; aber es gelang ihm noch nicht ganz, und es fiel ein ums andre Mal vornüber, doch es kannte sein Ziel genau: mit einer Hartnäckigkeit, die bald belohnt werden würde, steuerte es auf das Euter zu.
    Ein eisiger Wind wehte mir über die Strohballen hinweg ins Gesicht, doch ich merkte es kaum, so friedvoll war die Szene, die sich mir bot. Dies war stets der schönste Teil, das Wunder, das immer wieder neu war, das Geheimnis der Natur, das man sich nicht erklären konnte.
    Ein paar Tage später rief Rob Benson mich abermals an. Es war ein Sonntagnachmittag, und seine Stimme klang höchst beunruhigt.
    »Jim, da war ein Hund zwischen meinen trächtigen Schafen. Irgendwelche Leute waren um die Mittagszeit mit dem Wagen hier oben. Mein Nachbar sagte, sie hatten einen Wolfshund dabei, der die Schafe quer übers ganze Feld jagte.
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