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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt
Autoren: James Herriot
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immer eifrig am Trinken.
     
    In der folgenden Woche schien ich kaum in meine Jacke zu kommen. Die mit dem Lammen verbundene Flut von Arbeit war auf ihrem Höhepunkt, und ich verbrachte allein viele Stunden täglich damit, meine Arme in allen Ecken und Enden des Bezirks in Eimer mit heißem Wasser zu tauchen – in den Schafpferchen, in dunklen Winkeln von Wirtschaftsgebäuden oder häufig auch unter freiem Himmel, denn zu jener Zeit fanden die Bauern nichts dabei, einen Tierarzt stundenlang in Hemdsärmeln im Regen knien zu sehen.
    Ich wurde noch einmal auf Bob Bensons Hof gerufen, zu einem Mutterschaf mit einem Uterusvorfall nach dem Lammen – eine vergnügliche Arbeit im Vergleich zu der ungeheuren Mühe, die es kostet, den Uterus einer Kuh zu reponieren.
    Es war wirklich ein Kinderspiel: Rob rollte das Schaf auf die Seite, dann band er ihm einen Strick um die Hinterbeine und legte sich das Seil um den Hals. In dieser Stellung, mit den Hinterbeinen nach oben, konnte das Tier keinen Widerstand leisten. Ich desinfizierte das Organ, schob es mühelos zurück und langte zum Schluß behutsam mit dem Arm hinein, um es vollständig in die alte Lage zurückzubringen.
    Kurz darauf trottete das Mutterschaf gelassen mit seinen Jungen davon, um sich zu der schnell wachsenden Herde zu gesellen, deren Blöken uns von allen Seiten umgab.
    »Da, sehen Sie mal!« rief Rob. »Da ist das alte Mutterschaf mit Herbert. Da drüben rechts – in der Mitte dieser Gruppe.« Für mich sahen sie alle gleich aus, aber für Rob waren sie, wie für alle Schäfer, so verschieden wie Menschen, und er hatte die beiden sofort erkannt.
    Sie grasten am oberen Ende des Feldes, und da ich mir beide genauer ansehen wollte, manövrierten wir sie in eine Ecke. Eifersüchtig seinen Besitz verteidigend, stampfte das Mutterschaf unwillig mit dem Fuß, als wir näher kamen, und Herbert, der sein wolliges Überkleid längst abgeworfen hatte, hielt sich dicht neben seiner neuen Mutter. Mir kam es vor, als habe er ganz schön Fett angesetzt.
    »Na, von unterentwickelt kann jetzt wohl keine Rede mehr sein, Rob«, sagte ich.
    Der Bauer lachte. »Nein, die Alte hat ein Euter wie ’ne Kuh, und Herbert kriegt den ganzen Segen. Er hat weiß Gott das große Los gezogen, aber zugleich dem Schaf das Leben gerettet – es wäre uns glattweg eingegangen, doch inzwischen geht es ständig bergauf mit ihm.«
    Ich blickte über die Hunderte von Schafen, die auf den Weiden umherwanderten. Dann wandte ich mich dem Bauern zu. »In den letzten Wochen haben Sie mich ja ein bißchen sehr oft zu sehen bekommen, Rob. Das heute ist hoffentlich das letzte Mal.«
    »Ja, das denk ich fast. Jetzt sind wir ja allmählich durch... aber das Lammen ist ’ne höllische Zeit, nicht wahr?«
    »Ja, das ist es. Aber jetzt muß ich weiter – machen Sie’s gut, Rob.« Ich drehte mich um und stieg den Hang hinunter, die Arme rauh und wund unter der Jacke, das Gesicht von dem ewigen Wind gepeitscht, der in Böen über die Felder pfiff. Unten am Gatter blieb ich stehen und blickte zurück auf die weite Landschaft, die noch von den letzten Resten des winterlichen Schnees gestreift war, und auf die dunkelgrauen Wolkenbänke, die, von strahlend blauen Seen gefolgt, vor dem Wind dahintrieben; und in Sekundenschnelle waren die Felder und Wälder und Wiesen in leuchtendes Leben getaucht, und ich mußte die Augen schließen vor dem grellen Glanz der Sonne. Ganz von fern drang ein schwaches Lärmen an mein Ohr, ein stürmischer Zusammenklang vom tiefsten Baß bis zum höchsten Diskant: fordernd, besorgt, zornig, liebkosend.
    Die uralten Laute der Schafe, die uralten Laute des Frühlings.

Kapitel 3
     
    »Diese Masticks«, sagte Mr. Pickersgill sachverständig, »ist wirklich eine regelrechte Plage.«
    Ich pflichtete ihm mit einem Kopfnicken bei, denn in seinem Fall war wirklich Grund zur Besorgnis gegeben, und überlegte mir gleichzeitig, daß es typisch Mr. Pickersgill war, den wenn auch nicht ganz korrekten wissenschaftlichen Ausdruck zu gebrauchen, während die meisten anderen Bauern sich mit dem landläufigen Wort ›Euterentzündung‹ begnügt hätten.
    Er traf für gewöhnlich nicht allzuweit daneben – die meisten seiner Versuche waren knappe Fehlschlüsse, deren Ursprung durchaus noch zu erkennen war –, aber ich konnte mir nie recht erklären, wie er auf Masticks kam. Ich wußte jedoch, sobald er sich erst einmal auf einen Ausdruck festgelegt hatte, ging er nie wieder davon ab: eine Mastitis
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