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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt
Autoren: James Herriot
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es befriedigte ihn offenbar, mich erschreckt zusammenfahren zu sehen, wenn er kurz nach meiner Wade oder meinem Hosenbein schnappte. Und er hatte stets ein leichtes Spiel mit mir, denn meistens war ich tief in Gedanken versunken, wenn ich die Straße entlangging.
    Und bei näherer Überlegung konnte ich Timmy seine Racheakte nicht einmal verübeln: Von seinem Standpunkt aus betrachtet, hatte er, an nichts Böses denkend, friedlich vor dem Kamin gesessen und eine ungewöhnliche Mahlzeit zu verdauen versucht, als ihn plötzlich ein wildfremder Mann aufgeregt am Genick gepackt und ins Freie geschleppt hatte, wo ihm dann auch noch Senf eingeflößt worden war. Es war empörend, und er war nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
    Ich für meinen Teil fand eine gewisse Befriedigung darin, Gegenstand einer Vendetta zu sein, die von einem Tier geführt wurde, das ohne mein Dazwischentreten auf qualvolle Weise zugrunde gegangen wäre.
    So ließ ich die Angriffe geduldig über mich ergehen. Doch wenn es mir rechtzeitig einfiel, wechselte ich auf die andere Straßenseite hinüber, um der aus Gimber’s Yard drohenden Gefahr zu entrinnen.

Kapitel 29
    Vielleicht hielt es die Air Force für einen gelungenen Scherz, mir meine Einberufung pünktlich zu meinem Geburtstag zuzustellen, aber ich fand die Sache weniger witzig. Noch heute habe ich deutlich das Bild vor Augen, wie ich an jenem Morgen in unser ›Eßzimmer‹ kam und Helen am oberen Ende des Tisches auf dem hochbeinigen Hocker saß, sehr still, mit gesenktem Blick; neben meinem Teller lag mein Geburtstagsgeschenk – eine Büchse mit meinem Lieblingstabak – und daneben ein langes Kuvert. Ich brauchte nicht zu fragen, was es enthielt.
    Ich hatte schon seit einiger Zeit damit gerechnet, aber es jagte mir doch einen Schrecken ein, als ich las, daß mir nur eine Woche blieb, bis ich mich am Lord’s Cricket Ground in London einzufinden hatte. Es war eine Woche, die unheimlich schnell verging: zahllose Kleinigkeiten waren in der Praxis noch zu erledigen, ich mußte die Formulare fürs Landwirtschaftsministerium abschicken und dafür sorgen, daß unser spärliches Hab und Gut in Helens Vaterhaus zurückgebracht wurde, wo Helen bis zu meiner Rückkehr bleiben wollte.
    Ich hatte beschlossen, am Freitagnachmittag gegen fünf Uhr mit meiner Arbeit Schluß zu machen, doch um drei Uhr bekam ich einen Anruf vom alten Arnold Summergill; das würde nun wirklich mein allerletzter Fall sein, denn der Weg zu dem kleinen Gehöft, das an einem mit Adlerfarn bewachsenen Hang mitten zwischen den Hügeln lag, glich mehr einer Expedition als einem Besuch. Ich sprach nicht direkt mit Arnold, sondern mit Miss Thompson, der Postmeisterin von Hainby.
    »Mr. Summergill möchte, daß Sie sich seinen Hund ansehen«, sagte sie.
    »Was fehlt ihm?« fragte ich.
    Ich hörte die leise Beratung am anderen Ende.
    »Er sagt, das Bein sähe so komisch aus.«
    »Komisch? Was soll das heißen?«
    Wieder ein leises Gemurmel. »Er sagt, es steht irgendwie raus.«
    »Gut, ich komme.«
    Arnold zu bitten, er möge den Hund in die Praxis bringen, hätte wenig genutzt. Er besaß keinen Wagen und hatte auch noch nie selbst mit mir telefoniert – unsere Gespräche wurden alle über Miss Thompson geführt. Wenn Arnold etwas auf dem Herzen hatte, setzte er sich auf sein rostiges Fahrrad, fuhr nach Hainby und erzählte der Postmeisterin, welche Sorgen er hatte. Ihr beschrieb er auch die Symptome; seine Angaben waren gewöhnlich sehr vage, und ich nahm auch diesmal an, daß sie etwas übertrieben seien.
    Doch ich hatte nichts dagegen, Benjamin noch ein letztes Mal zu sehen. Es war ein seltsamer Name für den Hund eines Kleinbauern, und ich habe nie erfahren, wie der Hund dazu gekommen war. Aber wenn man so will, hätte es diesem prachtvollen »Bobtail« ohnehin viel besser angestanden, den Rasen eines eleganten Herrenhauses zu schmücken, als Arnold über steiniges Weideland zu folgen. Er war das klassische Beispiel für einen wandelnden Kaminvorleger, und man mußte genau hinsehen, um zu erkennen, was vorne und was hinten war. Aber wenn man schließlich seinen Kopf ausfindig gemacht hatte, entdeckte man hinter der dichten Haarfranse die gutmütigsten Augen der Welt.
    Benjamin zeigte einem manchmal allzu stürmisch, wie sehr er sich freute, einen wiederzusehen. Er sprang hoch und legte mir seine riesigen Pfoten auf die Brust, was mir an winterlichen Regentagen, wenn er im schlammigen Hof umherspaziert war,
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