Thors Valhall
viel eher erzählen sollen, doch … Ich dachte, das interessiert sowieso niemanden.“
„Wie kommst du darauf?“
Tony zuckte mit den Schultern. „Als ich mich für den Job bei RACE bewarb, befand ich mich mitten in der Trennung von Mary. Sie ist meine Frau, und nicht meine Schwester, wie ich es euch immer erzählt habe. Susan war gerade geboren. Wir stritten um das Sorgerecht, welches ich natürlich ohne gängigen Job verlor, dann um die Besuchszeiten, die sie mir zuerst nicht einräumen wollte. Ich hatte einfach keine Nerven, all das wildfremden Leuten zu erzählen, verstehst du?“
„Klar“, erwiderte Dylan. „Aber inzwischen sind wir nicht mehr wildfremd. Wir wohnen zusammen.“
„Ich weiß, ich hätte die Wahrheit sagen sollen …“
„Allerdings!“, tönte es plötzlich aus dem Hintergrund. Tony und Dylan sahen sich erschrocken um und erblickten Erik, der von ihrer Diskussion wach geworden war und Tony nun verachtend ansah.
„Wenn ich eins hasse, dann sind es unehrliche Menschen!“, schrie er, dann drehte er sich und steuerte die Tür an.
„Erik!“ Tony geriet außer sich, als er das sah. „Bleib hier, bitte! Ich kann dir alles erklären!“
Er lief seinem Freund hinterher. Der Bewegungsmelder sprang an, und Dylan konnte durch das Küchenfenster erkennen, wie die beiden Männer wild gestikulierend ihre Diskussion draußen fortführten. Erik ließ sich jedoch nicht beruhigen. Er stürmte durch den Garten und verließ das Anwesen durch das große Einfahrtstor. Tony folgte ihm noch einige Meter, doch es mangelte ihm an Kondition, um Erik einholen zu können.
Schwer atmend kam er zurück.
„Und?“, wollte Dylan sofort wissen.
„Er ist weg, war nicht haltbar.“ Tony fuhr sich über das Gesicht, war verzweifelt. „Wo will er denn hin, mitten in der Nacht? Er kennt sich doch hier gar nicht aus.“
„Ach, er wird sich ein Taxi nehmen und zum Hotel fahren“, konterte Dylan. Er nutzte die Gelegenheit, um unbemerkt ein Bier zu öffnen.
„Shit, verdammt!“ Verzweifelt klappte Tony sein Handy zusammen. „Er nimmt nicht mal ab.“
„Was ist denn los?“ Aus der dunklen Ecke des Wohnzimmers trat Angus hervor. Müde kniff er die Augen zusammen, strich sich dabei über den Kopf, der kahl geschoren war. „Gibt’s Stress?“
„Kann man wohl sagen“, erwiderte Dylan. Ein wenig missgestimmt sah er seinen Freund und Manager an. Dass er sie alle belogen hatte, jahrelang, war wirklich unglaublich. Er konnte Eriks Unmut absolut nachvollziehen.
„Tony ist gar nicht so schwul, wie er tut. – Mary ist seine Frau und Susan seine kleine Tochter.“
„Wie bitte?“
Der Fernseher lief noch, obwohl Thor schon eine ganze Weile geschlafen hatte. Der Raum roch nach kaltem Rauch. Die letzte Zigarette war im Aschenbecher unbeachtet verglimmt.
Als die Tür nebenan geräuschvoll ins Schloss fiel, hob er die Lider leicht an. Es war mitten in der Nacht. Mit Eriks Erscheinen hatte er längst nicht mehr gerechnet.
Doch jetzt vernahm er sein Fluchen, sein aufgeregtes Atmen. Ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmte.
Sofort kam Thor auf die Beine. Da die Verbindungstür ihrer Suite offen stand, konnte er sofort sehen, dass Erik auf dem Bett saß. Sein Körper war leicht nach vorne gebeut, sein Gesicht verdeckte er mit den flachen Händen.
„Ist was passiert?“, wollte Thor sofort wissen. Sein Oberkörper war nackt. Er kam näher.
Erik sah nur kurz auf, ließ seinen Blick schnell über Thors Brust gleiten. Seine Augen schimmerten feucht, doch nicht vor Trauer, sondern vor Zorn.
„Oh, sag nichts!“, äußerte sich Thor. „Es ist wegen Tony.“
Erik antwortete nicht, stattdessen richtete sich sein Blick wieder nach vorne, sein Kopf senkte sich, sodass seine langen, schwarzen Haare nach vorne glitten.
Thor seufzte. „War mir klar, dass es so kommen würde. – Was hat er dir angetan?“
Erik zögerte weiterhin. Fest presste er seine schmalen Lippen aufeinander, überlegte, ob er überhaupt etwas sagen sollte, doch dann begann er, zu schildern:
„Tony ist verheiratet. Er hat eine Tochter.“
Als Thor das hörte, lachte er laut.
„Ha, und das bringt dich so aus der Fassung?“ Er schüttelte den Kopf. „Kannst mir glauben, Tony war mir schon immer ein Dorn im Auge, doch ist es nicht völlig egal, wann man sich outet oder was in der Vergangenheit gewesen ist?“
„Sicher.“ Eriks Stimme war ganz leise. „Mir geht es auch nicht darum, ob er Familie hat oder nicht, sondern darum, dass er
Weitere Kostenlose Bücher