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Theres

Theres

Titel: Theres
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Leidenschaft mitten in der angeblichen Leidenschaft muss man jedoch nicht als Ausdruck von Berechnung, auch nicht als Mangel von Mitgefühl deuten. Eher geht es um eine Rationalität, die den Zugriff auf ihren Gegenstand verloren und sich in derart sauerstoffarme Höhen begeben hat, dass sie sich sozusagen »selbst einfror«. Klarsicht erstarrt zu harter Undurchsichtigkeit.
    Das betrifft nicht nur die RAF , sondern im gleichen Maße die polizeiliche, am Ende paramilitärische Organisation, die es auf sich genommen hatte, gegen die Stadtguerilla zu kämpfen. Der Journalist Stefan Aust registrierte, dass es zuweilen »bemerkenswerte Übereinstimmungen darin gab, wie der Kampf zwischen Terroristen und Staatsapparat von Horst Herold (dem Chef des BKA , der höchsten Polizeibehörde Westdeutschlands) und der RAF « wahrgenommen worden war. Eine Äußerung Herolds wurde sogar bei den Stammheimer Prozessen zitiert:
    Die erste Frage ist, ob der Terrorismus in seinen Erscheinungsformen in Deutschland, aber auch in der ganzen Welt ein Produkt der Hirne der Täter ist (…) oder ob der Terrorismus eine Widerspiegelung gewisser gesellschaftlicher Situationen in der westlichen, auch in der östlichen Welt ist, so dass der Terrorismus gewissermaßen die Probleme reflektiert, die objektiv bestehen. Dabei wäre zu erörtern,wer dann vorrangig den Terrorismus zu bekämpfen hat – die Polizei oder die Politik. Meiner Meinung nach sind es die politischen Mächte, die die Verhältnisse zu ändern haben, unter denen Terrorismus entstehen kann … Dann nützt es nichts, auf Köpfe einzuschlagen oder, wie es manche fordern, Köpfe abzuschlagen, sondern dann gilt es, auf die historischen Ursachen, auf die Gesetzmäßigkeiten einzuwirken. Deshalb werden ja auch in dem ganzen Kampf nicht nur militärische Kategorien verwendet, sondern zunehmend auch – ich spreche es ungern aus, aber die Tendenz dahin zeichnet sich ab – gleichsam völkerrechtliche Kategorien eingeführt.
    Das veranlasst Andreas Baader zu der Bemerkung, dass er ja wohl das »Recht« habe, sich hinsichtlich der Ziele und Methoden der Stadtguerilla auf Herold zu beziehen, da dieser »uns seit fünf Jahren so exzessiv verwendet, um seinen Apparat aufzublähen«.
    Es ist Herold, der Polizist, der nach einem Platz für die Guerilla in der Rechtsordnung sucht, letztlich im Völkerrecht, weil diese Einordnung für seinen Machtanspruch funktional wäre. Er sagt, die Tendenz ist die Verpolizeilichung des Krieges und die Verlagerung der militärischen Auseinandersetzungen nach innen. Und ich bin der Mann, der diesen Krieg zu führen hat.
    Baaders Schlussfolgerung:
    GEBT MIR ALSO DEN APPARAT
    GEBT MIR DAS GELD
    GEBT MIR VOR ALLEM POLITISCHE MACHT
    *
    Ein Kampf, der sich ursprünglich auf weltanschaulicher Ebene abspielte ( Wer hat recht? ), wird in die gesellschaftspolitische Arena verlagert ( Wer besiegt wen? ). Die Anzahl der Akteure wird begrenzt und erhält dadurch eine nahezu symbolische Funktion.
    Schutzzäune, Absperrlinien.
    Scheinwerferpulks flammen auf.
    *
    Möglicher Startpunkt: Berlin, die Stadt, in der alle Querstraßen Sackgassen sind . Symbol für das historisch Böse, aber auch für den Belagerungszustand : das Eingepferchtsein, die Isolation; aber auch verheißungsvoller Ort: »die Utopie der Umzingelten«.
    (Siehe auch das Kapitel INSELN .)
    *
    Über Ideologien. Die Notwendigkeit, zwei Schichten klar voneinander abzugrenzen: eine äußerliche rhetorische und eine grundlegendere, historische .
    Zur Rhetorik: Solange die Gewalt Grundpfeiler der politischen Macht bleibt, solange hat es wenig Nutzen, dass wir unsere friedliche Einstellung beteuern. Mord und Macht lassen sich nicht voneinander unterscheiden.
    Zur historischen Schicht: Das Gefühl, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet hat, in der Mitglieder und Funktionäre der Nazipartei nach wie vor hohe Posten in Politik und Wirtschaft innehaben (Heinz Trettner, Uwe von Hassel, Georg Kiesinger u. a.). Für Ulrike Meinhof spiegelt sich darin nicht nur eine noch immer vorhandene Mentalität wider ( Hitler in euch ); es verweist auch deutlich auf das Ausmaß der internationalen Verschwörung, die um jeden Preis darauf abzielt, die herrschende Ordnung beizubehalten: Es ist die Konsequenz der Struktur des Imperialismus, dass er seinen Machtbereich in erster Linie militärisch festigt, sowohl nach außen wie nach innen, sowohl in den Großstädten als auch in der dritten Welt, durch
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