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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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Schloss, ich spielte auch. Spielen Sie gut? Ganz gut. Ich habe von ihm viel gelernt. Wirklich? Nietzsche und Stefan George und Ernst Jünger, wir waren halt Kinder. Er hat viel von Ihnen erzählt. Wirklich? Wirklich. So irgendwie war das Gespräch gewesen. Eine alte Frau hatte ein Rezept gebracht. Acid. phenylaethylbarbitur., Codein hydrochlor, Coffein, Dimapyrin, Phenacetin. Codein gab es nicht mehr. Die alte Frau war wieder gegangen. Einen Schnaps? Nur kein Alkohol, die Russen vor drei Tagen – War es schlimm? Das Gespräch war dahingeplätschert. Dann fragte Richard Kranz: Glauben Sie, dass ich das Schloss anschauen darf?
    Sie nickte. Im Schloss wohnte niemand, der letzte Mieter, ein Herr namens Joachim Schwarzer, war längst verschwunden, Richard Kranz konnte hingehen, und wenn er durch die Zimmer gehen wollte, hinderte ihn niemand daran. Während sie aber nickte, entsetzlich lange und zu verständnisvoll nickte, sah sie plötzlich Frau Kranz vor sich in einem schwarzen Seidenkleid mit großen pfirsichfarbenen Blumen, einen breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf, unter den Platanen, zwischen zwei kräftigen Baumstämmen, von denen die dünne Rinde in handgroßen Lappen herabgeblättert war. Die Frau im schwarzen Seidenkleid stand im Laub. Eine zweite Frau, in einem Kleid, das die Farbe von müden Teerosenhatte, kam herbei und reichte der ersten einen Brief. Die Szene war völlig lautlos. Katherina Mohaupt dachte nun: Wie ein Ballett. Dann, ein anderes Mal, fuhr ein großes, grün angestrichenes Automobil vor, mit weiß umrandeten Rädern. Ein Diener stellte neben das mit matt glänzendem gerilltem Gummi belegte Trittbrett zwei mit bunten Papieren vollgeklebte Schweinslederkoffer in den Staub. Der Chauffeur schwitzte, er nahm die flache graue Schirmmütze vom Kopf und wischte sich den Schweiß mit einem karierten Taschentuch von der Stirn. Frau Kranz setzte sich ins Auto, diesmal trug sie ein taubengraues Kostüm. Die andere Dame, auch diesmal teerosenfarben, setzte sich neben sie. Etwas später kam der junge Kranz mit seiner Erzieherin. Sie war hager. Er ging sehr langsam, als könne er seine etwas rötlichen, fleischigen Schenkel nur mit Mühe bewegen. Sein Gesicht war rund und weiß, seine dunklen Augen erinnerten an zwei Kirschen, die von der Ferne gesehen zu leuchten schienen, obwohl sie bloß Lichtfunken widerspiegelten. Seltsam verschleierte Augen. Das Automobil war davongefahren und der aufgewirbelte Staub hatte sich wieder gelegt. Und sie nickte immer noch.
    Er sagte: Wenn Erich nach Hause kommt, lassen Sie es mich gleich wissen, ich bitte darum. Und dann fragte er: Kann es sein, dass ich Fräulein Moravec von früher kenne? Das kann doch nicht sein, fügte er gleich hinzu, ich habe ja Herrn Moravec nicht gekannt, und also konnte ich auch seine Tochter nicht gekannt haben, außerdem musste sie damals noch ganz klein gewesen sein, nicht wahr? Wie alt mag sie sein? Ich schätze siebzehn, oder nicht einmal siebzehn. Ein schönes Mädchen und so sauber, es klingt dumm, ich weiß, aber Fräulein Moravec ist wirklich schön und so völlig unschuldig, ja, so sauber, wiederholte er, und dann sagte er nochmals: Wenn Erich nach Hause kommt, lassen Sie es mich gleich wissen. Sie sagte: Fahren Sie weg, um Himmels willen, lassen Sie Ihre Adresse da, ich werde Sie ganz gewiss verständigen, er wird Ihnen bestimmt gleich schreiben, aber fahren Sie weg, sehen Sie sich noch das Schloss an, im Schloss wohnt jetzt niemand, im Schloss hat zuletzt ein Herr aus Konstanz gewohnt, Sie kennen ihn nicht, ein Deutscher, er hieß Joachim Schwarzer, ruhen Sie sich aus, ich gebe Ihnen Medikamente, was wir halt eben haben, erholen Sie sich, aber fahren Sie dann gleich fort. Er fragte: Warum?
    Es war gerade Mittag, der hinkende, halbirre Ambros, der den Mesner vertrat, zerrte im Kirchturm an dem Strick, und die Glocke dröhnte, man hätte die Antwort ohnehin nicht verstehen können, und also gab es keine Antwort, an Stelle einer Antwort zitterte der gelbliche, selbstgebrannte Zwetschgenschnaps in den beiden Gläschen, Richard Kranz nahm seines höflich, sie nahm das ihre, sah es an und schüttete sich dann den Schnaps in den Hals, prost, sagte sie nachher, und auch er hob das Glas, berührte den Schnaps mit der Zunge und sagte dann: Prost. Dann fragte er: Warum sollte ich gleich wegfahren? Ich muss mich zuerst ausschlafen. Dann muss ich auch in die Kirche gehen, zum Pfarrer Horowitz, wenn er noch lebt. Ich möchte auch noch zum Schloss.
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