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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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dringend in die Apotheke. Jemand sagte, in der Apotheke sei sie nicht gewesen. Jemand sah am späten Nachmittag Frau Wallach mit dem jungen Kranz aus dem Hause kommen. Sie hatte Liselotte offenbar vorher schon heimgeholt, denn das Kindspielte im Hof. Zwei Wochen später kaufte sich Veit Wallach ein Motorrad. Er sagte, er hätte gespart, und manche erinnerten sich tatsächlich daran, dass er den Plan gehabt hatte, ein Motorrad zu kaufen. Aber Erinnerungen verwirren sich leicht. Sie verwirren sich umso leichter, je größer die Hoffnung ist auf einen ausgewachsenen Skandal. Ich sagte vorher, am Skandal war nicht nur die Zeit schuld. Das stimmt. Den Skandal hätte es auch dann gegeben, wenn Richard Kranz kein Jude gewesen wäre und kein Vierzehnjähriger dazu. Vermutlich wäre dann der Skandal eben kleiner gewesen. Es war mir bekannt, dass Frau Wallach die Männer wild machte. Ohne ihr Zutun, bloß durch ihr Aussehen und ihre Art. Auch mich hatte sie ja wild gemacht, und also habe ich sie, nachdem Wallach gefallen war, geheiratet.
    Er war der einzige, der ihr die Sache mit dem jungen Kranz verzieh. Nein, er verzieh ja nicht: Er weigerte sich, zu glauben, dass er betrogen worden war. Ich bin selber dabei gewesen, als man ihm die Geschichte erzählte. Das war im Wirtshaus. Wallach hatte mit seinem neuen Motorrad eine Probefahrt gemacht und lud dann seine Freunde ein, um das neue Motorrad zu feiern. Man trank viel. Wir sind es gewohnt, viel zu trinken. Man trank auf das Motorrad und auf Veit Wallach, man trank auf das Glück des Veit Wallach, und endlich konnte einer sich die herzliche Off enheit nicht versagen, dieses Glück beim Namen zu nennen. Dieser eine trank auf die Gesundheit von Richard Kranz. Die anderen tranken mit, nur ich trank nicht mit, und Wallach natürlich auch nicht. Und da ich der einzige war, der nicht mitgetrunken hatte, sah er mich an. Ich sagte: Sollst leben! Erfragte: Der junge Kranz? Jemand sagte: Tu nicht so als ob. Wallach fragte noch einmal: Der junge Kranz? Ich sagte nichts. Jemand sagte: Schon gut, sollst lange leben, Veit, Herr Wirt, hallo, noch einen Liter! Wallach hatte noch sein breites Lachen im Gesicht. Er lachte gern. Dann war sein Lachen verschwunden, und er sagte ganz leise: Ihr könnt mich alle am Arsch lecken. Damit setzte er sich nieder, denn bis dahin war er gestanden. Ich glaube, niemand hatte gehört, was er gesagt hatte, denn alle waren mit sich selbst beschäftigt gewesen, mit ihrem eigenen Lachen. Und mit dem kitzligen Gedanken, dass jemand die Helene doch noch herumgekriegt hatte, auch wenn es der junge Kranz gewesen war, der natürlich ganz schön hatte zahlen müssen; ein Motorrad hat ja seinen Preis. Ich aber habe nicht gelacht. Denn ich habe meine spätere Frau schon damals geliebt. Und so hörte ich, was Vitus Wallach ganz leise gesagt hatte.
    Später war er dann wieder lustig, denn er hatte es sich überlegt und glaubte nicht, dass Helene ihn betrogen hatte, und noch später war er, wie wir alle, ziemlich betrunken.
    Es war Wahnsinn, anzunehmen, dass Helene mit Richard Kranz ein Liebesverhältnis hätte haben können. Es war die Zeit. Wallach hatte an die Schuld seiner Frau nie geglaubt, allerdings waren die letzten vier Jahre dieser Ehe wahrscheinlich nicht so glücklich. Denn sonst hätte mich Helene nicht so rasch, nicht so ohne weiteres geheiratet, nachdem die Nachricht gekommen war, ihr Mann sei an der Ostfront gefallen. Wir führten eine gute Ehe. Sie hat zwar nur zwei Jahre gedauert, aber sie war harmonisch. Ein einziges Mal habe ich meine Frau offen und unmissverständlich gefragt, wieso der Klatsch habe entstehen können. Anspielungen darauf machte ich immer wieder, aber gefragt habe ich nur einmal. Sie sagte: In diesen Knaben hätte ich mich verlieben können, er hat mir leider nur ein Buch gebracht, einen französischen Roman, zum Lesen, aber das kann euch allen ja wurst sein, denn ihr lest ohnehin keine Bücher. Sie muss sehr erregt gewesen sein, dass sie mir so etwas sagte. Es war ihr nämlich bekannt, dass ich einigermaßen belesen bin. Kein Wunder, dass sie erregt war. Der Skandal war ihr unter die Haut gefahren, und dabei musste sie andauernd so tun, als bemerke sie nichts. Ich habe dann nicht noch einmal gefragt. Sie sollte die Angelegenheit vergessen. Dann starb sie. Und am Totenbett? Sie hatte nichts zu beichten. Zuerst hatte sie Qualen ausstehen müssen, wie in der Hölle, aber dann lag sie nur mehr da.
    Ihr Mund war offen, sie atmete schwer und
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