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Themba

Themba

Titel: Themba
Autoren: Lutz van Dijk
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Geschwister, nicht für sich selbst.
    »Es ist für mich wichtig, es auch allein zu schaffen, gerade nach der Verletzung, verstehst du das?«
    Ich achte ihn umso mehr dafür. Ich weiß, warum Sipho mein bester Freund ist.

    Wir wohnen höchstens einen Monat im Boston-Viertel, als eines Nachmittags beim Training John Jacobs mit einem jüngeren Mann im Anzug auftaucht und mich heranwinkt:
    »Hey, Themba, das ist Sandile«, stellt er ihn mir vor. »Sandile arbeitet für Laduma an einer Serie über junge Fußballtalente und da habe ich ihm von dir erzählt.«
    Ich gebe dem Reporter unsicher die Hand. In der anderen hat er eine kleine Digitalkamera, die ich erst für ein Handy gehalten habe. Dann klopft mir John in der ihm eigenen Art auf den Rücken und lässt uns allein.
    Sandiles Eltern kommen auch aus Mpuma-Koloni, aber er selbst ist in einem Township im Norden von iKapa geboren. Ich freue mich, dass ich viel über meinen Anfang bei den Lion Strikers berichten kann. Als er mich fragt, warum ich nach iKapa gekommen bin, zögere ich einen Moment mit der Antwort.
    »Ich hatte die Visitenkarte von Big John und wollte mein Glück bei ihm versuchen.«
    »Na, das ist dir ja bestens gelungen, was?«
    Sandile lächelt, macht dann noch ein paar Fotos von mir und verabschiedet sich. Auf einem der Fotos sind meine neuen braunen Lederschuhe zu sehen, ziemlich teure mit Löchern an der Oberkante.
    Plötzlich schäme ich mich, weil ich nichts von Mutter gesagt habe. Es ist so leicht, den Mund zu halten, wie alle es tun. Nichts über AIDS zu sagen. Nichts von unserer Mutter zu erzählen, die wir täglich besuchen. Und die wir lieben.
    Als das Interview mit zwei Fotos tatsächlich in der nächsten Ausgabe von Laduma erscheint, ist Sipho der Erste, der mich auf meinem neuen Handy anruft.
    » Halala , Themba - bravo, ich bin so stolz auf dich! Ich habe gleich zwei Ausgaben gekauft, weil Jabu sich die Seite über sein Bett im Kinderhaus hängen will!« Dann bricht die Verbindung ab, bevor ich etwas antworten kann. Es ist ziemlich teuer, tagsüber von einer Telefonzelle jemanden auf dem Handy anzurufen.
    Ich stürze in den nächsten Supermarkt und kaufe ebenfalls eine Laduma. Aufgeregt blättere ich das Heft durch, bis ich die Seite - tatsächlich eine ganze Seite! - mit dem Interview finde. Ich setze mich für einen Moment ganz allein an den Straßenrand und lese den englischen Text Wort für Wort. Sandile hat alles sorgfältig aufgeschrieben, nichts verändert.
    Als ich fertig bin, schaue ich auf und sehe mich um. Alles ist wie vorher. Niemand erkennt mich. Logisch. Ich muss plötzlich über mich lachen und falte die Zeitung wieder zusammen.
    Wenig später sitze ich neben Mutters Bett, zeige ihr die Fotos und lese ihr das Interview langsam vor. Als ich bei der Frage angelangt bin, warum ich nach Kapstadt gekommen sei, unterbreche ich mich und sage: »Mama, ich wusste einfach nicht, wie ich von dir sprechen sollte. Bitte verzeih, ich schäme mich nicht für dich oder deine Krankheit, ich wusste es einfach nicht...«
    Ich schaue ihr lange in die Augen. Sie sind offen, seit ich zu ihr gekommen bin. Wenn ich aufstehe und mich leicht zu ihr herunterbeuge, dann treffen sich unsere Blicke. Ja, sie kann mich sehen. Plötzlich ist mir, als wüsste sie alles …
    Später kommt Nomtha hinzu. Sie freut sich über die Veröffentlichung mit den Fotos und sagt kein Wort über die gelogene Antwort im Interview.

    Es ist schon dunkel, als wir später am Abend in unsere kleine Wohnung kommen. Ich schalte das Licht im Wohnzimmer an - und traue meinen Augen nicht: Nomtha hat überall Luftballons aufgehängt und den Tisch gedeckt mit Plastikblumen, Kerzen und einer richtigen Flasche Wein.
    Jetzt steht sie dicht hinter mir und schubst mich einfach ins Zimmer. Ich fliege herum, um sie in den Arm zu nehmen und zu küssen, aber sie windet sich geschickt heraus, und einen Moment ist es wie früher, als wir noch klein waren und uns zum Spaß gejagt haben. Endlich kann ich sie doch festhalten und wir lassen uns außer Atem auf den Boden fallen.
    Noch ganz außer Puste wischt sie sich eine Locke aus der Stirn und sagt auf einmal ernst: »Ich muss mit dir reden, Themba.«
    Augenblicklich richte ich mich auf und schaue sie prüfend an: »Worüber?«
    Was weiß oder ahnt sie inzwischen von jener Nacht, als ich blutverschmiert von Luthando kam?
    »Komm, setzen wir uns an den Tisch.« Sie geht voran, zündet beide Kerzen an und wartet, bis ich mich hingesetzt
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