Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Autoren: Samantha Shannon
Vom Netzwerk:
Stern verblassen lässt. Mir wurde klar, dass ich nie ernsthaft damit gerechnet hatte, dass er mitkommen würde, auch wenn ich es in den vergangenen Stunden gehofft hatte. Als es bereits zu spät war. Und nun würde er gehen – beziehungsweise bleiben. Von diesem Punkt an war ich allein. Und in dieser Einsamkeit war ich frei.
    Er drückte sanft seine Nase an meine. Langsamer, süßer Schmerz stieg in mir auf, und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Der Wächter musterte unverwandt mein Gesicht, doch ich senkte den Blick. Starrte auf unsere Hände, seine so viel größeren auf meinen: geschützt durch die Handschuhe, sodass seine raue Haut verborgen blieb – und meine blassen Finger, mit Adern, die wie blaue Flüsse schimmerten. Meine Nägel, an denen noch immer der fliederfarbene Lack haftete.
    »Komm mit uns«, bat ich. Meine Kehle war völlig ausgetrocknet und meine Lippen brannten. »Komm mit … mir. Nach London.«
    Er hatte mich geküsst. Er hatte mich gewollt. Vielleicht war das auch jetzt noch so.
    Doch alles zwischen uns war unmöglich. Und sein Blick verriet mir, dass sein Verlangen allein nicht ausreichte.
    »Ich kann nicht in die Zitadelle gehen.« Sein Daumen glitt zärtlich über meine Lippen. »Aber du schon. Du kannst in dein altes Leben zurückkehren, Paige. Das ist deine Chance, und mehr will ich nicht für dich.«
    »Aber ich will mehr.«
    »Was willst du denn?«
    »Weiß nicht. Ich will einfach, dass du bei mir bist.«
    Noch nie hatte ich diese Worte laut ausgesprochen. Jetzt, wo ich die Freiheit bereits schmecken konnte, wollte ich, dass er sie mit mir teilte.
    Aber er konnte sein Leben nicht für mich ändern. Und ich konnte meines nicht aufgeben, nur um bei ihm zu sein.
    »Ich muss jetzt Nashira aus den Schatten herausjagen.« Er drückte seine Stirn an meine. »Wenn ich sie von hier weglocken kann, gehen die anderen vielleicht auch. Vielleicht geben sie dann auf.« Er öffnete die Augen, brannte die folgenden Worte in mein Gedächtnis ein: »Falls ich niemals zurückkehre, falls du mich niemals wiedersiehst, wird das bedeuten, dass alles in Ordnung ist. Dass ich ihr ein Ende bereitet habe. Doch wenn ich wiederkomme, heißt das, dass ich versagt habe. Dass noch immer Gefahr droht. Und dann werde ich dich finden.«
    Ich sah in unverwandt an. Dieses Versprechen würde ich nie vergessen.
    »Vertraust du mir jetzt?«, fragte er.
    »Sollte ich denn?«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Genau das bedeutet Vertrauen , Paige. Nicht zu wissen, ob man überhaupt Vertrauen haben sollte.«
    »Dann vertraue ich dir.«
    Wie aus weiter Ferne drang ein Klopfen an meine Ohren. Das Geräusch von Fäusten auf Metall, gedämpfte Schreie. Nick stürmte aus dem Zugangstunnel, gefolgt von den letzten Überlebenden, die hastig in den Zug sprangen, in letzter Sekunde, denn schon schlossen sich die Türen ruckartig. »Steig ein, Paige«, rief er.
    Der Countdown war vorbei. Die Zeit abgelaufen. Der Wächter löste sich von mir, in seinen Augen brannte Reue.
    »Lauf«, sagte er. »Lauf, kleine Träumerin.«
    Die Bahn setzte sich in Bewegung. Nick schwang sich auf die Plattform am Zugende und streckte mir die Hand entgegen.
    » PAIGE !«
    Seine Stimme riss mich aus meiner Benommenheit. Mein Herz machte einen Sprung, und mit der Wucht eines Eisenhammers setzten alle Sinne zugleich ein. Ich wirbelte herum und rannte über den Bahnsteig. Der Zug beschleunigte immer weiter, fast zu schnell für mich. Ich packte Nicks Hand, kletterte über das Geländer und war im Zug, ich hatte es geschafft, war in Sicherheit. Von den Schienen stiegen Funken auf, und die eiserne Plattform bebte unter meinen Füßen.
    Ich hielt meine Augen offen, doch der Wächter war in der Dunkelheit verschwunden wie eine Kerzenflamme, die vom Wind gelöscht wird.
    Ich würde ihn niemals wiedersehen.
    Doch als ich zusah, wie der Tunnel sich rasend schnell hinter uns ausbreitete, war ich mir einer Sache ganz sicher: Ich vertraute ihm.
    Jetzt musste ich nur noch mir selbst vertrauen.

Glossar
    Der von den Sehern in Die Träumerin verwendete Slang orientiert sich frei an der Gaunersprache, die in der Londoner Unterwelt des 19. Jahrhunderts verwendet wurde, wobei einiges in Bezug auf Bedeutung und Verwendung dem Roman angepasst wurde. Andere Begriffe wurden der modernen Umgangssprache entnommen oder neu interpretiert. Ausdrücke, die speziell von der »Familie«, also den menschlichen Bewohnern von Sheol I, verwendet werden, sind mit einem Stern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher