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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Autoren: Samantha Shannon
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gehabt, aber Seb konnte meinem Geist immer noch Schaden zufügen. Ich würde ihn aufhalten müssen.
    »Seb«, sagte ich so sanft wie ich konnte.
    Es dauerte nicht lange, bis er mein Eindringen bemerkte. Er fuhr herum und stürmte auf mich zu. Ich packte ihn an den Handgelenken.
    »Seb, ich bin’s!«
    »Du hast mich nicht gerettet«, fauchte er wild. »Du hast mich nicht gerettet, und jetzt bin ich tot. Ich bin tot , Paige! Und ich komme … «, er schlug gegen die Wand, »hier … «, nächster Schlag, »nicht raus!«
    Die schmale Gestalt in meinen Armen zitterte. Wie vor seinem Tod war er so dünn, dass man jeden einzelnen Knochen spüren konnte. Ich verdrängte meine Angst und umschloss mit den Händen sein verdrecktes Gesicht. Beim Anblick seines gebrochenen Genicks zuckte ich schuldbewusst zusammen.
    Ich musste es tun. Ich musste die Wut des Geistes bezwingen, zu dem er geworden war, sonst würde er ewig in diesem Zustand dahinvegetieren. Das hier war nicht Seb. Das war nur noch Sebs Verbitterung, Schmerz und Hass. »Hör mir zu, Seb. Es tut mir so leid, so unendlich leid. Du hast das nicht verdient.« Seine Augen waren vollkommen schwarz. »Aber ich kann dir helfen. Möchtest du deine Mutter wiedersehen?«
    »Mutter hasst mich.«
    »Nein, Seb. Hör mir zu, hör zu. Ich habe dich nicht befreit, und … und das tut mir leid.« Meine Stimme war kurz davor zu brechen. »Aber jetzt können wir uns gegenseitig befreien. Wenn du diesen Raum hier verlässt, kann ich die Stadt verlassen.«
    »Niemand geht. Das hat sie gesagt: ›Niemand geht.‹« Er schüttelte so heftig den Kopf, dass er vor meinen Augen verschwamm. »Nicht einmal du. Nicht einmal ich.«
    »Ich kann dich dazu bringen, dass du gehst.«
    »Ich will nicht gehen. Warum sollte ich? Sie hat mich getötet. Ich hätte mehr Zeit haben sollen!«
    »Das stimmt, du hättest mehr Zeit haben sollen. Aber willst du wirklich den Rest der Ewigkeit in diesem Käfig verbringen? Für immer?«
    Wieder begann Seb zu zittern.
    »Für immer?«
    »Ja, für immer. Das willst du doch nicht.«
    Sein Genick fügte sich wieder zusammen.
    »Paige«, flüsterte er, »muss ich denn für immer fort ? Kann ich nie mehr zurückkommen?«
    Jetzt zitterte ich ebenfalls. Warum hatte ich ihn nicht retten können? Warum hatte ich sie nicht aufhalten können?
    »Erst mal ja.« Ganz langsam und vorsichtig legte ich ihm beide Hände auf die Schultern. »Aber ganz bis in das letzte Licht kann ich dich nicht schicken. Du weißt schon, dieses weiße Leuchten, das die Leute am Ende angeblich immer sehen. Dorthin kann ich dich nicht bringen. Aber ich kann dich sehr weit weg schicken, in die äußerste Finsternis, sodass dich niemand mehr einfangen kann. Und dann, wenn du es wirklich willst, kannst du zurückkommen.«
    »Wenn ich es will.«
    »Genau.«
    Eine Weile blieben wir reglos stehen, und ich hielt Seb in den Armen. Er hatte zwar keinen Puls, aber ich wusste, dass er sich fürchtete. Mein silbernes Band vibrierte.
    »Jag sie nicht weiter«, sagte Seb, und griff nach meiner Traumgestalt. »Nashira, meine ich. Sie wollen nichts weiter, als uns aussaugen. Und es gibt ein Geheimnis.«
    »Was für ein Geheimnis?«
    »Tut mir leid, das darf ich nicht sagen.« Er griff nach meinen Händen. »Für mich ist es zu spät, aber für dich nicht. Du kannst das alles immer noch aufhalten. Wir werden dir helfen. Wir alle.«
    Seb schlang die Arme um meinen Hals. Er fühlte sich so real an wie der lebendige Junge. So hatte ich ihn in Erinnerung. Leise intonierte ich die Threnodie: »Sebastian Albert Pearce, vergehe im Æther. Alles ist bereinigt, alle Schulden sind beglichen. Du musst nicht mehr unter den Lebenden verweilen.« Ich schloss die Augen. »Lebwohl.«
    Er lächelte.
    Dann war er fort.
    Die Ætherausbuchtung innerhalb des Numens fiel in sich zusammen. Diesmal meldete sich mein silbernes Band wesentlich energischer. Ich nahm Anlauf, und meine Traumlandschaft brachte mich zurück in ihre schützenden Hülle.
    *
    »Paige. Paige! « Plötzliche Helligkeit brannte hinter meinen Lidern. »Sie ist okay«, stellte Nick fest. »Brechen wir auf. Nadine, trommele alle zusammen.«
    »Wächter«, murmelte ich.
    Eine Hand in warmem Leder schloss sich um meine, sodass ich wusste, dass er da war. Ich öffnete die Augen. Schüsse dröhnten in meinen Ohren. Und sein Herzschlag.
    Der Wächter stemmte den Zugang auf: eine schwere Falltür, vollkommen unter dem Beton versteckt. Darunter kam eine schmale Treppe zum
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