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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Autoren: Samantha Shannon
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Vorschein. Das nun leere Schloss fiel klappernd ab. Der Wächter hob mich hoch, und ich schlang ihm die Arme um den Hals. Neben uns drängten die ersten Menschen die Treppe hinunter, feuerten aber weiter auf die NVD . Tjäder riss einer toten Wache die Waffe aus der Hand. Ihre Kugel traf Cyril im Nacken; er war sofort tot. Ich erhaschte noch einen letzten Blick auf die Stadt – das strahlende Licht, das Leuchtfeuer in der Finsternis – , bevor der Wächter sich den Überlebenden anschloss. Sein warmer, fester Körper war alles, was ich noch wahrnahm. Meine anderen Sinne kehrten erst nach und nach in schmerzhaften Stößen zurück.
    Im Tunnel war es kalt. Ich roch die trockene, modrige Luft eines Raums, der nur selten benutzt wurde. Das Geschrei an der Oberfläche verschmolz zu inhaltlosem Lärm, ein wenig wie Hundegebell. Krampfhaft bohrte ich die Finger in die Schulter des Wächters. Ich brauchte Adrenalin, Amarant, irgendetwas.
    Der Zugangsschacht war nicht besonders groß, er hatte kaum den Durchmesser eines U-B ahn-Tunnels, doch der Bahnsteig war lang und breit genug, um mindestens hundert Menschen Platz zu bieten. An seinem anderen Ende waren einige Tragen aufgestapelt, die einen starken Geruch nach Desinfektionsmittel verströmten. Wahrscheinlich waren sie dazu benutzt worden, um die durch das Flux lahmgelegten Seher in den Arrestblock zu transportieren oder zumindest in die Stadt hinein. Was das Geräusch anging, das durch die Dunkelheit drang, war ich mir sicher: das leise Brummen von Stromleitungen.
    Der Wächter richtete seine Taschenlampe auf den Zug. Einen Augenblick später gingen die Lampen an. Automatisch kniff ich die Augen zusammen.
    Elektrizität.
    Vor uns stand eine leichte Stadtbahn, die nur auf wenige Passagiere ausgelegt war. Am Ende des Zugs prangte die Aufschrift SCION AUTOMATED TRANSPORTATION SYSTEM . Die Wagen waren weiß, an den Türen befand sich das Logo von Scion. Noch während ich darauf starrte, öffneten sie sich und die Wagenbeleuchtung sprang an. » Willkommen «, erklang die Stimme von Scarlett Burnish. » Dieser Zug wird in drei Minuten abfahren. Endstation: Scion-Zitadelle London. «
    Mit Seufzern der Erleichterung verteilten sich die Überlebenden in den Waggons. Ihre Pseudowaffen ließen sie auf dem Bahnsteig zurück. Der Wächter rührte sich nicht.
    »Sie werden es wissen«, meinte ich erschöpft. »Sie werden wissen, dass nicht die richtigen Leute im Zug sitzen. Und sie werden uns erwarten.«
    »Dann wirst du dich ihnen stellen. So wie du dich allem stellst.«
    Er setzte mich ab, ließ mich aber nicht los. Stattdessen legte er die Hände an meine Hüften. Ich schaute zu ihm hoch. »Danke«, sagte ich leise.
    »Für deine Freiheit brauchst du mir nicht zu danken. Du hast ein Recht darauf.«
    »Genau wie du.«
    »Du hast mir die Freiheit geschenkt, Paige. Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um genug Kraft für einen neuen Versuch zu sammeln und sie mir zurückzuerobern. Dass es gelungen ist, habe ich dir, nur dir allein zu verdanken.«
    Mir blieb meine Antwort im Hals stecken. Mehr Leute verschwanden in den Waggons, unter ihnen Nell und Charles. »Wir sollten einsteigen«, sagte ich.
    Der Wächter antwortete nicht. Ich war mir nicht ganz sicher, was im letzten halben Jahr zwischen uns passiert war – ob überhaupt irgendetwas davon real war – , aber mein Herz war voll und meine Haut war warm, und ich hatte keine Angst. Nicht mehr. Und nicht vor ihm.
    Ein entferntes Donnern drang zu uns herunter. Wieder eine Mine. Wieder ein sinnloser Tod. Zeke, Nadine und Jax traten aus dem Zugangstunnel. Zwischen sich schleppten sie die halb bewusstlose Dani. »Kommst du, Paige?«, rief Zeke.
    »Steigt schon ein, ich komme gleich nach.«
    Sie verschwanden in einem der hinteren Waggons. Jaxon blieb in der Tür stehen und warf mir einen Blick zu.
    »Wir unterhalten uns noch, Träumerin«, sagte er. »Wenn wir zurück sind, unterhalten wir uns.«
    Damit drückte er von innen auf den Knopf, und die Tür schloss sich. Ein Amaurotiker und ein Wahrsager stolperten in den nächsten Wagen, einer von ihnen mit einem blutigen Hemd. » Eine Minute bis zur Abfahrt. Bitte machen Sie es sich bequem. « Der Wächer zog mich fester an sich.
    »Seltsam«, murmelte er, »dass es sich als so schwierig erweist.«
    Prüfend schaute ich ihm ins Gesicht. Seine Augen glühten trübe.
    »Du kommst nicht mit«, riet ich. »Stimmt’s?«
    »Nein.«
    Die Erkenntnis schlich sich an wie die Morgendämmerung, die einen
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