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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Autoren: Samantha Shannon
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worden war.
    Jedes Mal, wenn ich diese Stimme hörte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Burnish war gerade mal fünfundzwanzig, die jüngste Großreferentin aller Zeiten, und damit die Assistentin des Großinquisitors, die ihre Stimme und ihren Verstand ganz in den Dienst von Scion gestellt hatte. Die Leute bezeichneten sie auch als Weavers Flittchen, vielleicht aus Eifersucht. Sie hatte makellose Haut und unglaublich volle Lippen, gepaart mit einer Vorliebe für dicken roten Eyeliner. Der passte gut zu ihren Haaren, die sie stets zu einem verschlungenen Knoten am Hinterkopf aufsteckte. Der hohe Kragen, den jedes ihrer Kleider aufwies, ließ mich immer an einen Strick denken.
    »Und nun zur Außenpolitik: Der Großinquisitor von Frankreich Benoît Ménard wird in diesem Jahr anlässlich des Gezeitenfestes im November Inquisitor Weaver mit einem Besuch beehren. Schon jetzt, acht Monate vor dem großen Ereignis, trifft das Archonitat die ersten Vorbereitungen für diesen sicherlich äußerst erquicklichen Besuch.«
    »Paige?«
    Ich nahm die Mütze ab. »Hi.«
    »Komm rein und setz dich.«
    »Kurzen Moment noch.«
    Als Erstes ging ich ins Bad. Mir lief der Schweiß in wahren Sturzbächen über das Gesicht.
    Ich hatte jemanden getötet. Ich hatte wahrhaftig jemanden getötet . Jax hatte schon immer behauptet, dass ich dazu in der Lage sei – zu einem Mord ohne körperliche Gewalt – , aber ich hatte ihm nie geglaubt. Jetzt war ich eine Mörderin. Und, was noch schlimmer war, ich hatte Beweise zurückgelassen: einen Überlebenden. Mein Datenpad hatte ich auch nicht mehr, und da waren überall meine Fingerabdrücke drauf. Dafür kriegte ich bestimmt nicht nur NiteKind, das wäre zu einfach. Das brachte mir mit Sicherheit erst Folter und dann den Galgen ein.
    Sobald ich das Badezimmer erreicht hatte, erbrach ich mich in die Toilette. Nachdem alles aus mir herausgeflossen war, was nicht als Organ bezeichnet werden konnte, zitterte ich so sehr, dass ich kaum aufstehen konnte. Ich riss mir die Klamotten vom Leib und taumelte in die Dusche. Kochend heißes Wasser lief über meine Haut.
    Diesmal war ich zu weit gegangen. Zum allerersten Mal war ich in die Traumlandschaften anderer eingedrungen, anstatt sie nur zu berühren.
    Jaxon würde begeistert sein.
    Ich schloss meine Augen. Wieder und wieder lief in meinem Kopf die Szene aus dem Waggon ab. Ich hatte nicht vorgehabt, sie zu töten. Eigentlich hatte ich ihnen nur einen kleinen Schubs geben wollen – gerade genug, damit sie Migräne bekamen oder vielleicht Nasenbluten. Als Ablenkungsmanöver.
    Aber irgendetwas hatte mich in Panik versetzt. Die Angst vor Entdeckung. Die Angst davor, ein weiteres namenloses Opfer von Scion zu werden.
    Dann dachte ich an Linwood. Seher beschützten sich nicht gegenseitig, es sei denn, sie gehörten derselben Gang an, und trotzdem belastete mich sein Tod. Ich sank zu Boden, zog die Knie bis ans Kinn und hielt meinen schmerzenden Kopf in beiden Händen. Wäre ich doch nur schneller gewesen. Nun waren zwei Leute tot – einer wahnsinnig – , und nur mit unglaublich viel Glück wäre ich nicht die Nächste, die starb.
    Eng zusammengekauert hockte ich in der Dusche. Ich würde mich nicht ewig hier drin verstecken können. Irgendwann spürten sie einen immer auf.
    Ich musste nachdenken. Scion hatte für solche Fälle ein klar festgelegtes Prozedere. Sobald sie den Bahnhof geräumt und mögliche Zeugen vernommen hatten, würden sie einen Salbenmischer rufen – einen Experten für Ætherarzneien – und blaue Aster einsetzen. Damit würden sie die Erinnerungen meines Opfers vorübergehend wiederherstellen und sie sichtbar machen. Wenn alle relevanten Teile davon aufgezeichnet waren, würden sie den Mann einschläfern und seine Leiche an die Leichenhalle in II -6 überstellen. Anschließend würden sie die Erinnerungen des Mannes durchgehen, bis sie das Gesicht seines Mörders fanden. Und dann hatten sie mich.
    Nicht nur nachts wurden Festnahmen vorgenommen. Manchmal schnappten sie dich auch, wenn du dich tagsüber auf die Straße wagtest: Blendeten dich mit einer Taschenlampe, stachen dir eine Nadel in den Hals, und weg warst du. Niemand meldete dich als vermisst.
    Ich konnte jetzt einfach nicht weiter in die Zukunft denken. Neue Schmerzen hämmerten in meinem Schädel und katapultierten mich in die Gegenwart zurück.
    Welche Optionen blieben mir? Ich konnte nach Seven Dials zurückkehren und mich dort eine Weile verkriechen, aber die Wachen
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