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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht
Autoren: Tom Hillenbrand
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gegen Frankreichs haute cuisine – vereitelt durch das beherzte Eingreifen des Pariser Bürgermeisters‹. So in der Art. Das lässt sich ein gewiefter Politiker nicht entgehen.«
    »Und dann?«
    »Dann ging alles ziemlich schnell. Anhand deiner Handynummer haben die Ermittler binnen Minuten herausgefunden, wo dein Telefon zuletzt ins Netz eingeloggt war und wo in etwa dein Aufenthaltsort sein müsste – irgendwo südöstlich von Genf, auf französischem Gebiet. Dann mussten sie nur noch recherchieren, dass Wyss dort ein Chalet besitzt – eine simple Computerabfrage. Nachdem sie das Haus gestürmt hatten, haben sie dich dann in das nächstgelegene französische Universitätsklinikum gebracht.«
    »Du hast mir das Leben gerettet, Valérie.«
    »Bild dir nichts drauf ein. Purer Egoismus, du schuldest mir schließlich noch das Hasenzibi.«
    »Huesenziwwi.«
    »Genau.«
    »Ich koche dir alles, was du möchtest. Aber später. Die nächsten Tage werde ich mich ausschließlich von Gemüsebrühe und Porridge ernähren.«
    »Du meinst Haferschleim? So etwas essen doch nur geschmacksverirrte Engländer, das schmeckt doch nach nichts.«
    »Exakt. Es mag etwas seltsam klingen, aber in den letzten 24 Stunden habe ich einfach zu viele Aromaexplosionen erlebt. Mein Bedarf an kulinarischen Offenbarungen jeder Art ist jetzt erst einmal gedeckt.«
    Am Vormittag kam der behandelnde Arzt zu Kieffer und erklärte ihm, man stehe vor einem Rätsel. Die durchgeführten Bluttests zeigten, dass Kieffer weder vergiftet noch mit Betäubungsmitteln sediert worden sei. Der Doktor führte Kieffers Ohnmacht stattdessen auf die Misshandlungen durch den Legionär zurück, diagnostizierte ferner eine leichte Gehirnerschütterung undriet zu viel Ruhe. Kieffer widersprach dem Mann nicht, denn er wollte so schnell wie möglich nach Hause. Valérie setzte ihn am Nachmittag in einen Schnellzug Richtung Luxemburg-Stadt, gab ihm noch einen Kuss und verschwand dann.
    Während der Fahrt schaute Kieffer aus dem Fenster und betrachtete die rasch vorbeiziehende Landschaft. Noch immer fühlte er sich etwas seltsam. Ihm war zwar weder übel noch schwindlig, doch er befand sich in einem Zustand seltsamer Entrücktheit. Das Abteil, die Schaffner, das Geplauder der anderen Fahrgäste – all das kam ihm weit entfernt und unwirklich vor. Kieffer versuchte, etwas zu dösen, doch als er die Augen schloss, sah er vor sich die mit Blutspritzern bedeckte Mandelsulz. Und wenn er seine Zunge gegen den Gaumen drückte, blitzten längst vergessene Erinnerungen in seinem Gehirn auf, Erinnerungen an Dinge, die er vor Jahren gekostet hatte.
    Er schmeckte das Meeresaroma frischer bretonischer Austern, die sahnige Würze eines Morbier, den goût terreux frischer Hausmacherblutwurst. Es waren keine Nachgeschmäcke, keine bruchstückhaften Erinnerungen, die in ihm emporstiegen. Kieffer fühlte sich, als ob die boudin in diesem Augenblick in seinem Mund zerging, und er wusste genau, wann und wo er sie gegessen hatte. Es war die Blutwurst Eugène Bavards, eines Fleischers aus dem Périgord. Er konnte die Kastanienstückchen schmecken und den Hauch von Zitronenthymian, die der Meistermetzger unter sein Brät gemischt hatte. 20 Jahre musste das her sein.
    Nach einiger Zeit gelang es Kieffer, sich auf die am Fenster vorbeiziehende Bourgogne zu konzentrieren undseine Zunge im Zaum zu halten. Den Speisewagen mied er, von dem Brötchenmann, der in seinem Abteil vorbeikam, kaufte er lediglich zwei Flaschen Wasser, das seltsam schmeckte.

[Menü]
    33
    Nach einigen ruhigen Tagen in der ville basse verschwanden die seltsamen Aroma-Flashbacks allmählich. Das »Deux Eglises« hatte Kieffer vorerst Claudine überlassen und sich für den Rest der Woche krankgemeldet. Er ruhte sich zu Hause aus, spazierte die Alzette entlang und brachte seinen vernachlässigten Gemüsegarten auf Vordermann.
    Pekka Vatanen hatte beschlossen, den seiner Ansicht nach erschreckend abgemagerten Kieffer schnellstens wieder an Essen und Trinken heranzuführen. Jeden Abend tauchte der Finne in Kieffers Garten auf, bepackt mit Käsespezialitäten, saucissons secs, Antipasti und diversen Alkoholika. Das meiste musste Vatanen selber vertilgen, aber zumindest der Rivaner schmeckte Kieffer schon wieder.
    »In ›Le Monde‹ war ein Artikel über diesen Wyss«, erklärte der Finne eines Abends schmatzend. »Hast du ihn gelesen?«
    »Noch nicht. Aber ich habe vorgestern ausführlich mit dem Journalisten gesprochen, der ihn
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