Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht
Autoren: Tom Hillenbrand
Vom Netzwerk:
Lardo drin, geschweige denn irgendein anderer Speck. Sondern aromatisiertes Formfleisch, das aus Schlachtabfällen und Geliermasse besteht. Und der Käse besteht nicht aus Aoster Gämsenmilch. Stattdessen ist das Ihr widerlicher Kadaverkäse.«
    »Ihr abwertender Tonfall missfällt mir, aber im Prinzip haben Sie recht. Doch was Sie sagen, trifft freilich auf so ziemlich alle Fertigpizzen zu, die Sie heutzutage kaufen können. Bei dieser hier ist es uns jedoch gelungen, auch auf Olivenöl, Kräuter und Roggenmehl zu verzichten und alles durch preiswertere Rohstoffe zu ersetzen. Statt des Getreides haben wir zum Beispiel pulverisierte Eiweiße aus einer Pilzkultur verwendet, die wir auf einer Mischung aus Holzspänen und Fischabfällen züchten.«
    »Ich gratuliere.«
    »Gegen Ihren Sarkasmus bin ich unempfindlich, Kieffer. Diese Pizza ist ein Meisterwerk der Kulinologie. Hier handelt es sich um ein äußerst komplexes Herstellungsverfahren, und es war sehr schwierig, alle Off-Flavours zu überdecken. Probieren Sie.«
    »Lieber nicht.«
    »Ah, aber ich bestehe darauf.«
    Kieffer sah, wie Gilbert nach seiner Magnum griff;rasch schnitt er ein Stück Pizza ab und schob es in seinen Mund. Als er auf den Belag biss, trafen ihn die perfekt aufeinander abgestimmten Aromen von Käse und Speck mit unbeschreiblicher Wucht. Dies war nicht irgendeine Pizza; es war die beste Pizza seines Lebens. Sein Gaumen, seine ganze Mundhöhle war von dem salzigen Geschmack des Lardo erfüllt, von dem scharfen, aber zugleich sahnigen Aroma des Ziegenkäses, von dem säuerlichen Prickeln des Roggenmehls. Irgendwo in seinem Hinterkopf mahnte eine Stimme, dass diese Pizza nicht ein einziges Gramm Roggen enthielt, doch wen interessierte das schon angesichts dieser kulinarischen Offenbarung?
    Kieffer schnitt ein weiteres Stück ab und ließ es in seinem Mund zergehen. Es existierte in diesem Moment nichts mehr außer dem Geschmack der köstlichsten Pizza der Welt. Als er sich das dritte – oder war es schon das vierte? – Stück vom Teller in den Mund hieven wollte, merkte er, dass Wyss ihm die Pizza weggenommen hatte. Wie konnte er es wagen?
    »Lieber Kieffer, ich freue mich ja, dass es Ihnen so vortrefflich mundet, aber dies ist ein Degustationsmenü. Sie haben sich ja schon fast die ganze Pizza einverleibt. Wir wollen uns doch nicht schon an einem Vorgang überfressen, es kommen ja noch so viele weitere Gerichte.«
    Kieffer fühlte, wie ein Zittern durch seinen Körper ging. Er war kurz davor, aufzuspringen und Wyss den Teller zu entreißen. Dann verflüchtigte sich das köstliche Aroma allmählich und mit ihm auch der Drang, noch mehr zu essen. »Was haben Sie mir da eingetrichtert«, stöhnte Kieffer. »Wie viel Catvanum war in dieser Pizza?«
    »Ungefähr das Fünffache der Menge, die in der Normalverbraucher-Version steckt. Je Gramm Nahrungsmittel ist das übrigens die höchste Dosis, die wir menschlichen Probanden überhaupt jemals verabreicht haben.«
    »Sie wollen mich umbringen!«
    »Ja, aber nicht mit Pizza. Eine Toxikose, also Vergiftungserscheinungen im klassischen Sinne, können wir aufgrund umfänglicher Tierversuche ausschließen. Es gibt keine letale Dosis, oder zumindest wäre diese absurd hoch. Aber die psychische Wirkung, die Folgen für den menschlichen Geist, wer kann die schon voraussehen? Vor allem wenn es sich um einen so verletzlichen handelt wie Ihren.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ach, das wissen Sie doch sehr genau, lieber Kieffer. Glauben Sie etwa, ich hätte mich nicht umfassend über Sie informiert? Lehre bei Boudier, Gewinner des »Concours du meilleur apprenti cuisinier d’Europe«, danach nur Topjobs, aber irgendwann war der Druck zu groß, nicht wahr? Die 16-Stunden-Tage, der Stress, die Drogen – totaler Nervenzusammenbruch, eine Therapie wegen schwerer Depressionen und über zwei Jahre Rekonvaleszenz. Sie waren in Rennes, geschlossene Abteilung, korrekt? Ich bin kein Psychiater, aber ich bin mir sicher, das hinterlässt Spuren.
    Ein belastbarer Proband ist zur Untersuchung der Exzitotoxizität meines Erachtens uninteressant. Aber Sie, lieber Kieffer, mit Ihrem schon etwas lädierten zentralen Nervensystem, Ihrem mutmaßlich niedrigen breaking point, Sie sind natürlich ein Glücksfall für mich. Noch etwas Weißwein? Oder möchten Sie vielleicht lieber einen Roten probieren? Ich habe hier einen Humagne ausdem Wallis.« Wyss deutete Kieffers Schweigen offensichtlich als Zustimmung, denn Gilbert brachte ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher