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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht
Autoren: Tom Hillenbrand
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Koca. Er sagt, Chatwa man isst nicht so.« In diesem Moment brachte eine weitere Frau eine Schale mit einer dampfenden, gelblichen Paste. Der Häuptling gestikulierte und griff nach einer der Fruchthälften. Er nahm ein kleines Stück Baumrinde, das neben der Schale lag, und strich damit etwas von der gelblichen Substanz auf die Chatwa. Dann bot er Keitel die präparierte Frucht an. Der griff danach und biss hinein.
    Erst als Sekou an seiner Schulter rüttelte, bemerkte Keitel, dass ihm Tränen die Wangen hinunterströmten. Die Frucht in seiner Hand war zur Hälfte verschwunden. »Alles okay, Sir?«
    »Ja, alles okay, Sekou.« Keitel biss ein weiteres Stück Chatwa ab. »Es geht mir sehr gut.« Der letzte Satz ging in seinem Schluchzen unter.

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    1
    Von der kleinen Terrasse des »Deux Eglises« hatte Xavier Kieffer einen hervorragenden Blick auf die Straße, die sich vom Europaviertel auf dem Plateau de Kirchberg hinab in Richtung Clausener Unterstadt schlängelte. Es war bereits später Nachmittag, doch kaum ein Auto war zu sehen. Kieffer seufzte und wandte sich, mit einem feuchten Tuch bewaffnet, den Holztischen zu, die im Außenbereich der Gaststätte aufgestellt waren.
    Das »Deux Eglises«, dessen Koch und Besitzer er war, galt vielen EU -Beamten als beliebter Treffpunkt. Auf der mit Verwaltungsgebäuden gespickten Anhöhe im Osten der Stadt gab es lediglich einige überteuerte Spesenritterlokale zweifelhaften Rufs sowie eine Cafeteria, die bereits um halb sechs schloss. Kieffers Lokal am Hang des Kirchbergs lockte deshalb viele fonctionnaires an, die auf dem Heimweg noch eine Kleinigkeit essen oder ein Glas Rivaner trinken wollten.
    Das war insofern erstaunlich, als Kieffer sich standhaft weigerte, all den zugezogenen Deutschen, Briten oder Spaniern kulinarisch auch nur einen Zentimeter weit entgegenzukommen. Tapas oder Schnitzel suchteman auf der Karte seines »Zwou Kierchen« vergebens. Der in seinen feinschmeckerischen Überzeugungen etwas starrsinnige Kieffer servierte seinen Gästen stattdessen unverdrossen moselfränkische Klassiker wie Judd mat Gaardebounen, Friture de la Moselle und sein persönliches Leibgericht: vor Fett triefende Gromperekichelcher, Luxemburger Kartoffelpuffer.
    Kieffer säuberte alle Tische auf der Terrasse – machte sich allerdings wenig Hoffnung, dass an diesem Abend viele Gäste kämen. Vielleicht würden später ein paar Einheimische auftauchen und exotische Spezialitäten wie Kuddelfleck oder Träipen bestellen, die er nicht auf der Karte hatte, auf Nachfrage aber gerne zubereitete. Ansonsten aber würde Kundschaft heute Abend Mangelware sein. Nicht einmal sein Freund und Stammgast Pekka Vatanen würde sich blicken lassen. Auch der war, wie alle wichtigen Luxemburger EU -Beamten, in Brüssel, wo diese Woche das Europäische Parlament zusammentrat.
    Auf dem Kirchberg herrschte wegen der Sitzungswoche Grabesstille. Dort war unter anderem der EU -Parlamentsdienst ansässig, der dafür zuständig war, die Abgeordneten mit Zahlen und Fakten zu munitionieren. Die meisten Mitarbeiter waren den Deputierten nach Brüssel gefolgt, wo die Ausschüsse des Parlaments tagten. Die wenigen Zurückgebliebenen nutzten die Abwesenheit ihrer Vorgesetzten, um bereits nach dem Mittagessen still und heimlich die verwaisten Büros zu verlassen.
    Erst in der nächsten Woche kam der EU -Wanderzirkus wieder nach Luxemburg. Dann würde sich auch das »Deux Eglises« wieder mit zahlungskräftigen Deutschen, Litauern und Italienern füllen. Bis dahin bliebKieffer nichts anderes übrig, als ein bisschen aufzuräumen, die Buchhaltung zu erledigen und seine Bestände an Nahrungsmitteln, Gewürzen und Wein zu überprüfen. Vor allem Letzteres war an einem sonnigen Septembertag wie diesem eine durchaus erfreuliche Perspektive für den weiteren Abend.
    Er wischte gerade den letzten Tisch ab, als Claudine die Terrassentür öffnete. Die junge Frau schaute nervös. Claudine arbeitete seit vier Jahren als gardemanger in seiner Küche. De facto konnte sie jedoch alles zubereiten, was auf der Speisekarte stand. Kieffer hatte geplant, ihr an diesem Abend die Küche zu überlassen und sich mit den Bestelllisten sowie einer Flasche fruchtigen Auxerrois’ auf die sonnenbeschienene Terrasse zu setzen. Als Claudines Blick den seinen traf, ahnte er, dass daraus nichts werden würde.
    »Wir haben einen Gast, den du dir besser mal anschaust, Xavier.«
    »Warum? Ist etwas Besonderes an ihm? Gehört er zur
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