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Teufels Küche

Teufels Küche

Titel: Teufels Küche
Autoren: Ross Thomas
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Mitleid nicht.«
    »Tut weh, was?«
    »Ja, tut weh. Gehen wir.«
    Replogle drehte sich um und ging auf den Westausgang des Hotels zu. Haere folgte ihm mit seiner Reisetasche durch die Tür auf die Straße hinaus, wo ein Jeep-Kombi am Straßenrand parkte. Haere sah, daß es ein Modell mit Vierradantrieb war, das, wie er glaubte, Wagoneer hieß.
    Replogle setzte sich hinter das Steuer und schnallte den Sicherheitsgurt an. Das tat Haere nicht. Er tat es nie. Und dann tat Replogle etwas, was er jedesmal gemacht hatte, wenn Haere mit ihm gefahren war – und das reichte immerhin schon über dreißig Jahre zurück, als Haere noch ein Kind gewesen war. Mit einer Hand, der rechten, zog Replogle sich langsam eine imaginäre Fliegerbrille aus dem Zweiten Weltkrieg nach unten über die Augen. Selbst nach dreißig Jahren löste das bei Haere noch ein Lächeln aus.
    Jack Replogle war in diesem lange vergangenen Krieg ein starker Pilot bei der Navy gewesen. Als der Krieg vorüber war, hatten Haeres Vater und Replogle entdeckt, daß sie einmal auf einer kleinen Insel der Philippinen nur dreihundert Meter voneinander entfernt gewesen waren: Replogle in seiner Hellcat oben in der Luft, Haeres alter Herr unten auf dem Boden. Beide hatten aufeinander geschossen, Replogle aus Versehen, Haeres alter Herr absichtlich. Jack Replogle schwor später, daß das Gewehrfeuer der Infanterie an diesem Tag tatsächlich sein Flugzeug getroffen hätte. Es war eine charmante Lüge, und er hatte sie oft wiederholt, und Haeres alter Herr hatte immer so getan, als ob er sie glaubte, aber es war trotzdem eine Lüge, weil, wie Haere senior später seinem Sohn anvertraute, jeder in der D-Company ein miserabler Schütze gewesen war. Haere war sechs Jahre alt gewesen, als sein Vater schließlich 1946 aus dem Krieg zurückkam, und er erinnerte sich, daß mehrere Jahre vergingen, bis der zu alte ehemalige Gefreite aufhörte, sie die Beschisseneinfanterie zu nennen, nicht in zwei Wörtern geschrieben, sondern in einem, praktisch untrennbar.
    Der Morgenverkehr war sehr dicht, aber Replogle fuhr schnell, sehr gekonnt, offensichtlich unbeeindruckt vom Schnee, der sich bereits in Matsch verwandelte. Sie fuhren nach Süden und bogen dann nach Westen in die Sixth Avenue ab, die sie zum Highway 6 bringen würde, der schließlich zum Interstate 70 wurde. Die Sonne war durchgekommen, der Dunst verflogen, und vor sich konnten sie die glitzernden Berge bewundern.
    Replogle zündete sich eine Zigarette an, die, wie Haere bemerkte, nach wie vor eine filterlose Lucky Strike war, und sagte: »Daß ich Krebs hatte, wußte ich mindestens schon zwei Monate, bevor sie mich unten in Houston aufgeschnitten haben.«
    »Woher?«
    »Meine Leitungen waren leicht verstopft. Ich dachte mir, es wäre die Prostata. Als sie reingingen, stellten sie fest, daß sie nicht mehr viel machen konnten, also flickten sie mich wieder irgendwie zusammen, bohrten mich aus, und jetzt komme ich rückwärts.« Er machte eine Pause. »Nur daß ich in letzter Zeit in der Hinsicht nicht mehr viel zu bieten habe, obwohl da diese Hübsche ist, die ich seit Jahren kenne und die eine Freundin hat. Einmal in der Woche oder so treffen wir uns zu dritt und veranstalten ein sanftes Spiel Lincoln Logs. Ein sehr sanftes. Fast altersschwach.«
    »Na ja, eine Orgie ist eine Orgie, nehme ich an«, sagte Haere. »Wie geht’s Maureen?« Maureen war seit siebenundzwanzig Jahren Replogles Frau.
    »Maureen?« sagte er. »Ich will dir von Thanksgiving erzählen.«
    »Von welchem Thanksgiving?«
    »Von diesem.«
    »Das ist doch erst in zwei Wochen.«
    »Nicht bei mir zu Hause. Bei mir zu Hause haben sie letzten Donnerstag Thanksgiving gefeiert, weil sie geglaubt haben, daß ich nicht mehr bis Weihnachten durchhalte, was mir todsicher nicht viel ausmachen würde.«
    Replogle machte eine Pause und drückte seine Zigarette im Aschenbecher des Wagens aus. »Nun ja, sie waren alle da, Maureens Familie, um den Tisch versammelt – ihre drei Brüder, schon halb im Tran, mit ihren gräßlichen Frauen, und ein Sortiment von etwa einem halben Dutzend Neffen, alle über einsneunzig groß und arbeitslos, und Maureens alter Herr, der zweiundneunzig ist und dauernd bellte, er würde keinen Scheißtruthahn essen, weil das, was er wirklich wollte, Salisbury Steak ist. So nennen sie Hamburger in Maureens Familie. Salisbury Steak.«
    »Klasse«, sagte Haere.
    »Wir sitzen also alle da, der Qualm so dick, daß man ihn in Dosen abfüllen kann,
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