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Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)

Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)

Titel: Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)
Autoren: Michail Bulgakow
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schiefen Laterne warf der kleine Chinese einen gesammelten Blick in den grauen Himmel, machte eine entschlossene Handbewegung und sang wie eine Geige sich selbst vor:
    »Roter Chines!«
    Und schritt in unbekannter Richtung davon.

4 Chinesisch Kamrad
    Zwei Tage danach befand sich der kleine Chinese in einem riesigen Saal mit halbrunden Gewölben. Er saß auf einer Holzpritsche, ließ die ärmlich beschuhten Füße baumeln, saß gleichsam in der Beletage, im Parterre hingegen häuften sich bartlose und schnurrbärtige Köpfe in Helmen mit großem Stern. Der kleine Chinese sah lange hinunter auf die Gesichter unter den Sternen, und als er endlich das Gefühl hatte, auf die allgemeine Aufmerksamkeit irgendwie reagieren zu müssen, zeigte er zunächst sein schönstes safrangelbes Lächeln und sagte sodann dünn und singend alles, was er auf seiner schrecklichen Reise von der runden Sonne bis in die Hauptstadt der Glockenuhr gelernt hatte:
    »Brot … Laßt mich in Waggon … Bin roter Chines …« Dann fügte er drei Wörter hinzu, deren Verbindung eine verblüffende Kombination ergab und eine geradezu wundersame Wirkung hatte. Der kleine Chinese wußte aus Erfahrung, daß diese Kombination die Fähigkeit besaß, die Tür eines geheizten Güterwaggons zu öffnen, daß sie aber auch schwere Faustschläge auf den rasierten Chinesenkopf auszulösen vermochte. Frauen ergriffen vor dieser Kombination die Flucht, Männer hingegen verfuhren ganz unterschiedlich: Mal gaben sie Brot, mal schlugen sie drauflos. Heute waren die Folgen erfreulich. Eine donnernde Gelächterwoge schlug in den Saal und schwappte bis hinauf zur gewölbten Decke. Der kleine Chinese beantwortete dieses erste Gelächter mit dem Lächeln Nr. 2, dem er eine etwas verschwörerische Nuance verlieh, und mit einer Wiederholung der drei Wörter. Nun glaubte er zu ertauben. Eine gellende Stimme zerschnitt das Lachdröhnen:
    »Wanja, komm mal her! Hier ist ein einjährigfreiwilliger Chinese, der flucht wie ein Kosak!«
    Rund um den kleinen Chinesen brodelte es, doch dann wurde es still, und er bekam Machorka, Brot und einen Blechbecher mit trübem Tee. Im Nu hatte der kleine Chinese voller Gier drei Stücke Brot verschlungen, die ihm zwischen den Zähnen knirschten, den Tee ausgetrunken und sich hungrig eine Selbstgedrehte angebrannt. Sodann trat ervor einen Mann in grüner Feldbluse. Dieser Mann saß unter einer Lampe mit zerschlagener Glocke hinter einer Schreibmaschine. Er sah den kleinen Chinesen wohlwollend an und sagte zu einem Kopf, der sich durch die Tür schob:
    »Genossen, was gibt’s da Besonderes? Ein ganz gewöhnlicher Chinese …«
    Der Kopf verschwand, der Mann nahm ein Blatt Papier aus der Schublade, ergriff den Federhalter und fragte:
    »Name? Vatersname? Familienname?«
    Der kleine Chinese antwortete mit einem Lächeln, enthielt sich jedoch jedweder Äußerung.
    Auf dem Gesicht des Mannes spiegelte sich Verwirrung.
    »Ähem … was ist, Genosse, verstehst du nicht Russisch? Na? Wie heißte?« Er stieß den Finger leicht in Richtung des kleinen Chinesen. »Name? Aus China?«
    »China sein«, sang der kleine Chinese.
    »Na, na! Chinese bist du, das versteh ich. Aber wie heißte denn, Kamrad? Na?«
    Der kleine Chinese verschloß sich in einem satten, strahlenden Lächeln. Sein Magen verdaute Brot und Tee und spendete ihm ein Gefühl wohliger Mattigkeit.
    »Das gibt’s nicht oft«, murmelte der Mann und kratzte sich erbittert die linke Augenbraue.
    Dann dachte er nach, musterte den kleinen Chinesen, steckte das Papier zurück in die Schublade und sagte erleichtert:
    »Der Kriegskommissar kommt gleich. Dann werden wir sehen.«

5 Ein Virtuose! Ein Virtuose!
    Zwei Monate vergingen. Und als der Himmel nicht mehr grau war, sondern blau mit bauchigen cremefarbenen Wolken, wußten bereits alle, daß, so wie Franz Liszt dazu geboren war, seine ungeheuerlichen Rhapsodien auf dem Flügel zu spielen, der kleine Chinese Sen Sin Po auf die Welt gekommen war, um mit dem Maschinengewehr zu schießen. Zuerst waren es unklare Gerüchte, doch diese bauschten sich zu Legenden, umschwebten den Kopf des kleinen Chinesen. Es begann mit einer Kuh, die er in zwei Hälften zerschnitt. Und es endete damit, daß in den Regimentern gemunkelt wurde, der kleine Chinese könne auf zweitausend Schritt Köpfe abschneiden. Wie dem auch sei, er erzielte tatsächlich hundert Prozent Treffer. Der Gedanke kam auf, die Zahl Hundert sei unstabil und relativ. Vielleicht erzielte er
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