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Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)

Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)

Titel: Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)
Autoren: Michail Bulgakow
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Beinen und spann eine verworrene Rede. Der kleine Chinese klapperte mit den gelben Augenlidern, schnaufte vor Hitze, murmelte ab und zu traurig und erstaunt Fragen. Der Alte knurrte. Ihm, dem Alten, ist alles egal. Lenin – haben wir. Den Allerobersten haben wir sehr. Burshuis – nein, die haben wir nicht! Die Rote Armee aber – die haben wir. Viel haben wir. Musik? Ja, ja. Musik, weil wir Lenin haben. In dem Turm mit der Uhr – da er sitzen. Hinterm Turm? Hinterm Turm – da ist die Rote Armee.
    »Nach Hause fahren? Nein, o nein! Kein Propusk. Guter Chinese friedlich sitzen.«
    »Ich – guter Chinese! Wo leben?«
    »Da leben – nein, nein und nein. Rote Armee – überall leben.«
    »Roter Chines«, wisperte der kleine Chinese hastig und blickte in die feurigen Löcher.
    Eine Stunde verging. Das Bullern verstummte, und die sechs Löcher in der Ofenklappe guckten wie sechs rote Augen. Der kleine Chinese, der in dem Geschwank von Schatten und rötlichen Reflexen das Gesicht in Falten zog und älter aussah, lag auf dem Fußboden und streckte die Arme flehend nach dem Alten aus.
    Noch eine Stunde verging, noch eine. Die sechs Löcher in der Ofenklappe wurden blind, und durch die angelehnte Lüftungsklappe zog süßer schwarzer Rauch. Der obere Türspalt war mit Lappen verstopft, das Schlüsselloch mit schmutzigem Wachs verklebt. Das karge bläuliche Flämmchen der Spirituslampe flackerte am Fußboden, daneben auf seinem Schafpelz lag seitlich der kleine Chinese. Er hielt ein wohl fünfunddreißig Zentimeter langes gelbes Rohr in den Händen, auf dem sich eine Art Drachen oder Eidechse streckte. An seinem kupfernen Ende, das wie Gold aussah, schmolz als dunkelroter Punkt ein schwarzes Kügelchen. Auf der anderen Seite der Spirituslampe lag auf einer zerfetzten Decke der chinesische Greis, ein ebensolches gelbes Rohr in der Hand. Um die beiden Chinesen schmolz und schwebte schwarzer Rauch und zog zur Lüftungsklappe.
    Gegen Morgen waren auf dem Fußboden neben dem verlöschenden Flammenzünglein undeutlich vier gefletschte Zahnreihen zu sehen, zwei schwarzgelbe und zwei weiße. Wo der Alte weilte, weiß niemand. Der kleine Chinese jedenfalls weilte in einem Kristallsaal unter einer riesigen Uhr, die jede Minute läutet, kaum daß die goldenen Zeiger einmal umgelaufen sind. Der Klang weckt Gelächter im Kristall, und heraus tritt, freudig gestimmt, Lenin in gelber Strickjacke, mit einem überlangen, straff geflochtenen glänzenden Zopf, ein Mützchen mit Knopf auf dem Scheitel. Er ergreift den Zeiger am Schwanz und treibt ihn nach rechts – da läutet die Uhr linker Hand, und als er den Zeiger nach links treibt, klingen die Glocken rechter Hand. Nach diesem Glockenspiel führt Lenin den kleinen Chinesen auf den Balkon, um ihm die Rote Armee zu zeigen. Leben – im Kristallsaal. Wärme – haben wir. Nastka – haben wir. Nastka, unbeschreiblich schön, geht an dem Kristallspiegel entlang, und ihre Füßchen in den Schuhen sind so winzig klein, daß man sie in einem Nasenloch verstecken kann. Der Dreckskerl von der Nastka aber, der Mörder, der Bandit mit dem finnischen Messer, will in den Saal hineinschlüpfen, doch der kleine Chinese erhebt sich kühn und fürchterlich wie ein Riese, holt mit dem breiten Schwert aus und schlägt ihm den Kopf ab. Der Kopf kullert vom Balkon, der kleine Chinese packt den enthaupteten Leichnam am Kragen und schmeißt ihn dem Kopf hinterher. Die ganze Welt ist froh und erleichtert, daß der Unhold nicht mehr mit dem finnischen Messer herumlaufen kann. Zur Belohnung spielt Lenin dem kleinen Chinesen eine dröhnende Melodie auf den Glocken vor und hängt ihm einen Brillantstern an die Brust. Wieder läuten die Glocken und erläuten endlich auf dem Kristallfußboden eine goldene Hirsesaat, über dem Kopf eine runde heiße Sonne und unter der Eiche das Schattenfiligran. Und die Mutter kommt mit dem Tragjoch, und in den Eimern ist eiskaltes Wasser.

3 Keine Träume – wir haben Wirklichkeit
    Man weiß nicht, was in den nächsten vier Tagen in dem zweigeschossigen Häuschen vorging. Man weiß nur, daß der kleine Chinese am fünften Tag, um fünf Jahre gealtert, heraustrat auf die dreckige Straße, nicht mehr im Schafpelz, sondern in einem Sack, auf dem Rücken den schwarzen Stempel »Inv. Nr. 4712«, und nicht in seinen schicken gelben Schuhen, sondern in verfärbten Fetzen, aus denen die geröteten großen Zehen mit den perlmuttfarbenen Nägeln lugten. An der Ecke unter der
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