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Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)

Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)

Titel: Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)
Autoren: Michail Bulgakow
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zurückzufahren. Fahren – aber wie? Essen – aber was? Wird schon klappen. Bin Chines … Laßt mich in Waggon.
    Hinter einer Ecke der gezackten Riesenmauer erklang in hohen Tönen ein Glockenspiel. Die Glocken bimmelten unverständlich durcheinander, aber es war offenkundig, daß sie harmonisch und sieghaft eine Melodie wiedergeben wollten. Der Chinese stapfte um die Ecke, äugte in die Ferne und aufwärts und überzeugte sich davon, daß die Musik in einer runden schwarzen Uhr mit Goldzeigern an einem hohen grauen Turm entstand. Die Uhr spielte eine Weile und verstummte. Der Chinese holte tief Luft, folgte mit dem Blick einem ratternden schäbigen Motorrad, das direkt in den Turm hineinfuhr, zog die Mütze fester und ging in unbekannter Richtung davon.

2 Schwarzer Rauch. Kristallsaal
    Am Abend war der Chinese weit weit weg von der schwarzen Uhr mit dem musikalischen Zaubertrick und den grauen Schießscharten. Er war am schmutzigen Stadtrand in einem zweigeschossigen Häuschen auf einem zweiten Durchgangshof, hinter dem sich unmittelbar ein Ödplatz auftat, bedeckt mit Streifen faulig-grauen Schnees und roten Ziegeltrümmern. Im hintersten Zimmerchen längs des stinkenden Korridors, hinter der Tür mit dem zerfetzten Wachstuchbeschlag, brannte in einem Öfchen mit drohend rötlicher Flamme ein Holzfeuer. Vor der Ofenklappe mit den glühenden runden Löchern hockte ein uralter Chinese. Er war an die Fünfundfünfzig, vielleicht aber auch Achtzig. Sein Gesicht sah aus wie Baumrinde, und die Augen schienen, wenn er die Ofenklappe öffnete, böse wie bei einem Dämon, wenn er sie schloß hingegen – traurig, tief und kalt. Der kleine Chinese saß auf einem verbogenen Klappbett mit speckiger Flickendecke, in welchem kühne große Wanzen hausten, und sah verschreckt, argwöhnisch zu, wie rote und schwarze Schatten über die verräucherte Decke wallten und wogten. Immer wieder ruckte er mit den Schulterblättern, schob die Hand hinter den Kragen, kratzte sich wütend und horchte auf das, was der alte Chinese erzählte.
    Mit aufgeblasenen Backen pustete der Alte in den Ofen und rieb sich mit den Fäusten die Augen, wenn ihn der Qualm biß. In solchen Momenten brach seine Geschichte ab. Hatte er die Klappe wieder geschlossen, so versank er im Schatten und sprach weiter in der fremden Sprache, die niemand als der kleine Chinese verstand.
    Die Geschichte des Alten war sehr kurz und betrüblich. Es klang ungefähr so: Brot – haben wir nicht. Überhaupt nichts haben wir. Hungrig. Zu verkaufen – haben wir nichts. Kokain – haben wir ein bißchen. Opium – haben wir nicht. Dies letzte betonte der schlaue alte Chinese ganz besonders. Wir haben kein Opium. Nein, gar keins. Ein Jammer, aber keins da. Die alten Chinesenaugen verschwanden dabei gänzlich in ihren schrägen Schlitzen, und die Reflexe aus dem Ofen drangen nicht in ihre geheimnisvolle Tiefe.
    »Was haben wir?« fragte der kleine Chinese verzweifelt und ruckte krampfhaft die Schultern.
    »Was wir haben? Wir hatten natürlich was, aber alles so was, worauf man besser verzichtet.«
    »Kalt – haben wir. Tscheka erwischt – haben wir. Auf dem Ödplatz wegen einem Päckchen Kokain mit dem Messer gestochen. Der Mörder hat’s weggenommen, dieses Miststück, der Dreckskerl von der Nastka.«
    Der Alte stieß den Finger gegen die dünne Wand. Der kleine Chinese lauschte und hörte heiseres Frauenlachen, dann ein Fauchen und Gluckern.
    »Selbstgebrannter – haben wir.«
    Dies erläuterte der Alte, dann schob er den Ärmel seiner verdreckten Strickjacke hoch und zeigte auf dem von einem Geflecht knotiger Adern durchzogenen gelben Oberarm eine frische, schräge, wohl zwölf Zentimeter lange Narbe, die offenkundig von einem wohlgeschärften Finnenmesser stammte. Angesichts der dunkelroten Narbe verschleierten sich die Augen des alten Chinesen, und der magere Hals lief dunkel an. Mit einem Blick auf die Wand zischte der Alte auf russisch:
    »Bandit – haben wir!«
    Dann bückte er sich, öffnete die Ofenklappe, steckte zwei Holzscheite in den feurigen Rachen und pustete mit aufgeblasenen Backen, was ihn einem bösen chinesischen Geist ähnlich machte.
    Eine Viertelstunde später bullerte das Holz gleichmäßig und machtvoll, und das schwarze Rohr erglühte rot. Hitze füllte das Zimmerchen, der kleine Chinese kroch aus seinem Schafpelz, stieg vom Bett und hockte sich auf den Fußboden. Der Alte, den die Wärme gutmütig stimmte, saß mit untergeschlagenen
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