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Terror

Terror

Titel: Terror
Autoren: Dan Simmons
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schwatzten kichernd mit anderen Frauen oder Kindern, während sich irgendwelche Seeleute stöhnend und schnaufend zwischen ihren Beinen abmühten.
    Sie waren wie Tiere. Für Francis Crozier hätten die Pelze und haarigen Felle, die sie trugen, genauso gut Bestandteil ihres eigenen Körpers sein können.
    Der Kapitän hebt die eingepackte Hand an den Schirm seiner Mütze, die in zwei schwere Schalschichten eingewickelt ist und daher unmöglich gelüftet werden kann. »Meine Verehrung, Madame. Darf ich vorschlagen, dass Sie sich möglichst bald in Ihr Quartier unter Deck verfügen? Es wird allmählich doch etwas frisch.«
    Silence starrt ihn an. Sie blinzelt nicht, wenngleich ihre langen Wimpern seltsamerweise frei von Eis sind. Und natürlich spricht sie nicht. Sie beobachtet ihn.
    Wieder tippt sich Crozier symbolisch an die Mütze und setzt seinen Rundgang um das Deck fort. Er steigt hinauf zum erhöhten Heck, dann auf der Steuerbordseite wieder hinunter und bleibt auf ein kurzes Wort bei den anderen zwei Wachen stehen, damit Irving Zeit hat, unter Deck seine Plünnen abzulegen. Der Kapitän will dem Leutnant nicht das Gefühl geben, ihm im Nacken zu sitzen.
    Er beendet gerade sein Gespräch mit dem letzten schlotternden Posten, dem Vollmatrosen Shanks, als der Gefreite Wilkes, der jüngste der Seesoldaten an Bord, unter der Zeltplane hervorstürzt. Wilkes hat lediglich zwei lose Schichten über seine Uniform geworfen, und seine Zähne beginnen schon zu klappern, noch bevor er seine Nachricht überbracht hat.
    »Einen schönen Gruß von Mr. Thompson, Sir. Der Maschinist lässt ausrichten, Sie möchten so schnell wie möglich hinunter zur Last kommen.«

    »Warum?« Crozier weiß, wenn der Dampfkessel endgültig entzweigegangen ist, dann sind sie erledigt.
    »Bitte vielmals um Verzeihung, Sir, aber Mr. Thompson sagt, Sie werden gebraucht, weil der Matrose Manson kurz vor der Meuterei steht, Sir.«
    Crozier fährt auf. »Meuterei?«
    »Kurz davor, hat Mr. Thompson gesagt, Sir.«
    »Drück dich deutlicher aus, Gefreiter Wilkes.«
    »Manson will keine Kohlensäcke mehr an der Totenkammer vorbeitragen, Sir. Und auch nicht mehr runter in die Last steigen. Bei allem Respekt, sagt er, aber er weigert sich. Er kommt auch nicht rauf, sondern hockt unten mit dem Arsch auf der Treppe und rührt sich nicht von der Stelle.«
    »Was soll dieser Unfug?« Crozier spürt die ersten Regungen vertrauten irischen Zorns in sich hochsteigen.
    »Es sind die Geister, Kapitän Crozier.« Die Zähne des Gefreiten Wilkes klappern noch stärker. »Wir alle hören sie, wenn wir Kohle schleppen oder Vorräte von ganz unten holen. Darum gehen doch die Männer nicht mehr unter das Orlopdeck, außer die Offiziere befehlen es ihnen, Sir. Dort in der Last ist was, da drunten im Dunkeln. Irgendwas kratzt und klopft da im Schiff, Sir. Und das ist nicht nur das Eis, das von draußen drückt. Es kommt von innen. Manson ist sich sicher, dass es sein alter Maat Walker ist … er und die anderen Leichen in der Totenkammer, die an den Planken scharren, weil sie rauswollen.«
    Crozier unterdrückt den Impuls, den Gefreiten mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu beruhigen. Der junge Wilkes würde das vielleicht nicht als sonderlich beruhigend empfinden.
    Die erste schlichte Tatsache ist, dass das schabende Geräusch aus der Totenkammer mit größter Wahrscheinlichkeit von den Hunderten oder Tausenden großen schwarzen Ratten stammt, die sich an Wilkes’ gefrorenen Maaten gütlich tun. Crozier weiß viel mehr über diese Wanderratten als der junge Seesoldat.
Zum Beispiel dass sie Nachttiere sind. Das bedeutet, dass sie im langen arktischen Winter ununterbrochen ihr Unwesen treiben. Außerdem haben diese Geschöpfe Zähne, die ständig nachwachsen. Und das wiederum bedeutet, dass das gottverfluchte Geschmeiß dauernd an irgendetwas nagen muss. Er hat schon erlebt, dass sie Eichenfässer der Royal Navy, zolldicke Büchsen und sogar Bleiplatten durchgenagt haben. Die Ratten dort unten haben mit den gefrorenen Überresten des Matrosen Walker und seiner vier unglückseligen Kameraden – darunter Croziers Zweiter Steuermann – bestimmt weniger Schwierigkeiten als ein Seemann mit einem starren Streifen Salzfleisch.
    Unglücklicherweise glaubt Crozier nicht, dass Manson und die anderen nur die Ratten hören.
    Aus der traurigen Erfahrung seiner zwölf Winter im Eis weiß Crozier, dass Ratten beim Verspeisen toter Seeleute zwar gründlich, aber auch ziemlich still
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