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Terror von Rechts

Terror von Rechts

Titel: Terror von Rechts
Autoren: Patrick Gensing
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Fratze, die höhnisch die Unzulänglichkeiten und Mängel aufzählt – wenn man ihr denn zuhören mag.
    Ausgerechnet das Jahrzehnt, in dem Neonazis ihre Waffen entsicherten, mordend durch Deutschland zogen und Migranten erschossen, wurde von Forschern – noch in Unkenntnis der Terrorserie – als Dekade des entsicherten Bürgertums bezeichnet. Die Mordserie des NSU ist bereits geschehen, doch nun muss es darum gehen, daraus zu lernen und zu verhindern, dass weitere solcher Terrorserien verübt werden. »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit stellt den ideologisch-weltanschaulichen Vorrat bereit, aus dem Rechtsextreme ihre Legitimation ziehen können«, betont der Wissenschaftler Wilhelm Heitmeyer. »Der Versuch zu suggerieren, es gebe eine intakte Gesellschaft und jenseits davon rechtsextreme Straftäter und Terroristen, funktioniert nicht.« Heitmeyer, Sozialwissenschaftler und Direktor des international vernetzten und renommierten Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, fällt ein vernichtendes Urteil: Bei dieser Strategie handele es sich »um nichts anderes als eine gesellschaftliche Entlastungsstrategie und insofern eine politische Selbsttäuschung«. Kurzum: Das Problem wird exotisiert, abgeschoben auf die bösen Neonazis, die unsere Gesellschaft, unsere Netzwerke, unsere Kindergärten, Schulen oder Vereine unterwandern wollten. Doch so einfach ist es nicht. Die Neonazis kommen nicht von außen, sondern stammen aus unserer Mitte. Es sollte ein Alarmsignal sein, wenn eine Partei wie die NPD in zwei Landtagen sitzt – und das nicht, weil sie bald die Macht in Berlin übernehmen könnte, sondern weil dies ein Zeichen dafür ist, dass etwas nicht stimmt.
    Die Union scheute sich bisweilen nicht, mit rechtsradikalen Parolen Wahlkampf zu betreiben, hier sei einmal mehr an Slogans wie »Kinder statt Inder« erinnert – oder an den unseligen Wahlkampf von Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Glücklicherweise eher Ausnahmen als die Regel. Dennoch fühlen sich viele Rechtsextreme durchaus bestätigt, sie führen schließlich nur den geheimen »Volkswillen« aus, wenn sie Migranten angreifen – oder ermordeten, wie der NSU. Kochs Wahlkampf fand 1999 statt, der CDU-Slogan »Kinder statt Inder« stammt aus dem Jahr 2000. Dieses Spiel mit Rassismus wird die Rechtsterroristen nicht zu ihren Taten verleitet, aber zumindest in ihrem Handeln bestätigt haben. Ein entsprechendes gesellschaftliches Klima verstärkt Hass auf Minderheiten und verleiht den militanten Rassisten scheinbare Legitimation. Als die Häuser von Migranten brannten und Flüchtlingsunterkünfte belagert wurden, tobte die »Asyldebatte«, Anders Behring Breivik mordete, nachdem die rassistische Islamkritik vor allem im Netz über Jahre an Einfluss gewann, der NSU begann seine Mordserie, während »Kinder statt Inder« zum Wahlkampfschlager gemacht und gegen die doppelte Staatsbürgerschaft polemisiert wurde. In Berlin gab es nach der Sarrazin-Debatte übrigens eine ganze Reihe von Drohungen und Anschlägen auf Moscheen. Eliten und Multiplikatoren sollten sich ihrer Verantwortung für die gesellschaftliche Atmosphäre bewusst sein.
    Nicht nur Migranten gehören zu den Zielgruppen der Rechtsextremen, auch Juden, Linke, Schwarze sowie Obdachlose, die als unnütz abgewertet und entmenschlicht werden. Bei diesen Prozessen können sich Rechtsextreme ebenfalls auf breite gesellschaftliche Debatten stützen. Thilo Sarrazin beispielsweise sorgte bereits vor seinem Bestseller über Gene und Gemüsehändler mehrmals für Aufsehen, da er gegen Arme zu Felde zog. Alles nur Zu- und Einzelfälle? Leider nein. Seit 2002 untersuchen Wissenschaftler in einer Langzeitstudie die Ausmaße, Entwicklungen und Ursachen von Vorurteilen in Deutschland. Das Projekt ist weltweit das größte zu diesem Thema. Jährlich wird eine repräsentative Auswahl der deutschen Bevölkerung telefonisch befragt. Im Mai/Juni 2010 waren es 2 000 Personen, in jenem Jahr waren die Folgen der Wirtschaftskrise das Thema. Die Forscher beobachteten dabei eine »deutliche Vereisung des sozialen Klimas«, rohe Bürgerlichkeit und einen zunehmenden Klassenkampf von oben. Die Feindbilder in einer durchweg wirtschaftlich geprägten Gesellschaft seien Muslime und »wirtschaftlich Nutzlose«. Welche Auswirkung hat das Gefühl der Bedrohung durch die Krise auf Einstellungen gegenüber schwachen Gruppen? Wie steht es um die Solidarität in unserer Gesellschaft, und welche
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