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Teller, Janne

Teller, Janne

Titel: Teller, Janne
Autoren: Nichts
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entlang.
    Plötzlich
schob Ole die Zweige zur Seite und trat hinaus auf den Weg.
    »Ha«,
lachte er, und ich blickte über seine Schulter und schämte mich.
    Es war nur
Aschenputtel, Sorensens alter Hund, der sich nach Sorensens Tod weigerte, irgendwo anders zu wohnen als auf Sorensens Grab. Die Geräusche der Spaten hatten die Neugier
des Hunds geweckt, und er bewegte langsam und bedächtig seine gichtgeplagten Beine den Hügel hinauf. Zum Glück war
Aschenputtel kein Hund, der viel bellte. Sie schaute uns nur interessiert an
und schnupperte an meinen Beinen. Ich tätschelte ihr den Kopf und ging wieder
auf meinen Posten.
     
    Bald
darauf pfiff Ole.
    Sie waren
mit dem Graben fertig, der kleine Sarg stand auf dem Kiesweg und wirkte so
einsam und entsetzlich traurig. Aber darüber nachzudenken war keine Zeit, denn
ein anderes Problem war entstanden. Die Jungen hatten alle Erde, die sie
ausgegraben hatten, wieder ins Grab geschaufelt, und dennoch war das Grab nur
zu gut drei Vierteln gefüllt. Ein physikalisches Gesetz, das wir nicht gelernt
hatten: Wenn ein Körper entfernt wird, wird sich die Erde dort, wo sich der
Körper befunden hatte, entsprechend dem Volumen des Körpers absenken.
    Jeder, der
in die Nähe des Grabs von Klein Emil Jensen kam,
würde sehen können, dass der kleine Emil Jensen nicht mehr dort lag. Da begann
Elise zu weinen und konnte gar nicht wieder aufhören, obwohl Ole sagte, sie
solle es lassen. Wir standen herum und wussten nicht, was tun. Dann kam ich auf
die Idee, dass wir ein paar Grabsteine von anderen Gräbern in das Loch
schleppen und sie mit Erde bedecken sollten. Der Friedhofswärter würde die
anderen Grabsteine wohl vermissen, aber dass sie unten im Grab von Emil Jensen
liegen, würde er niemals erraten. Hauptsache, wir erinnerten uns daran, alle
Blumen wieder so hinzulegen, wie sie lagen, bevor wir kamen.
    Es dauerte
sehr lange und war ausgesprochen mühsam, zwei Steine zu lösen und zu Emils Grab
zu hieven. Besonders, weil wir nicht wagten, Steine in direkter Nähe zu nehmen,
falls nun doch jemand auffallen sollte, dass hier erst kürzlich gegraben worden
war. Aber schließlich waren sie unten und obendrauf ordentlich viel Erde, und
ganz oben waren wieder die Blumen, die in der Zwischenzeit etwas gelitten
hatten, aber es ging, nachdem wir sie ein bisschen mit Oles Besen abgefegt
hatten. Die Uhr drüben am Rathaus schlug zwölf, gerade als wir fertig waren und
uns zum Sarg umdrehten.
    Ich erstarrte und konnte selbst im Dunkeln erkennen, wie die Jungen
blass wurden. Die Rathausuhr hatte einen tiefen hohlen Klang, und jeder Schlag
dröhnte wie ein dunkler Gespensterruf über die Gräber. Koooommmt ! Kooommmt ! Koooommmt ! Keiner
rührte sich.
    Ich traute
mich weder etwas zu sehen noch die Augen zu schließen und starrte unablässig
zu Jan-Johan, als sei er das einzige Bild, das ich wagte, auf meiner Netzhaut
zuzulassen. Ich zählte die Schläge nicht, aber es schienen viel mehr als zwölf
zu sein. Nach einer Ewigkeit verklang der letzte Schlag, und es wurde wieder
still.
    Wir sahen
uns nervös an, dann räusperte sich Jan-Johan und deutete auf den Sarg.
    »Lasst uns
weitermachen«, sagte er, und mir fiel auf, wie geschickt er das Wort Sarg
vermied.
    Der Sarg
muss damals, als Elises kleiner Bruder hineingelegt wurde, weiß und sehr schön
gewesen sein. Jetzt schlug das Weiß widerliche Blasen und war rissig und
überhaupt nicht mehr schön. An einer Ecke des Sargs krabbelte in etwas Erde ein
Wurm, und der fromme Kai wollte auf keinen Fall anpacken, bevor Ole nicht den
Wurm weggefegt hatte. Dann trugen sie ihn, die vier: Ole und der fromme Kai
auf einer Seite, Richard und Jan-Johan auf der anderen. Elise, die zu weinen
aufgehört hatte, als die Rathausuhr schlug, ging mit einer Taschenlampe
vorweg, ich mit der anderen dahinter.
     
    Sie hatten
nicht damit gerechnet, dass der Sarg so schwer sein würde, und die Jungen
stöhnten und schwitzten, aber Ole wollte nicht, dass sie sich ausruhten, bevor
sie an die Straße gekommen waren. Ich war darüber nicht traurig. Für mich gab
es keinen Grund, länger als unbedingt nötig auf dem Friedhof zu sein.
    Hinter mir
knirschte es im Kies.
    Sorensens Aschenputtel zottelte uns langsam hinterher, als sei
sie die Trauernde. Anfangs fanden wir das sehr angenehm, es machte uns
irgendwie mutiger, aber als wir zur Straße kamen und der Sarg auf dem
Zeitungswagen stand und sie immer noch hinter uns herging, waren wir etwas
beunruhigt.
     
    Es wäre
nicht
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