Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teller, Janne

Teller, Janne

Titel: Teller, Janne
Autoren: Nichts
Vom Netzwerk:
draußen sei, sagte Elise und sah dabei
aus, als wüsste sie nicht, ob sie sich darüber freuen oder traurig sein sollte.
»Da ist noch etwas«, fuhr Elise fort.
    Wir sahen
sie verblüfft an. In der Hektik wegen der Friedhofsgeschichte hatten wir
vergessen, dass sich ja nun Elise ausdenken musste, was als Nächstes auf den
Berg aus Bedeutung kommen sollte.
    »Marie-Ursulas
Haare!«
    Ich sah hinüber zu Marie-Ursula, die augenblicklich nach den blauen
Zöpfen gegriffen und den Mund wie zu einem Protest geöffnet hatte, von dem sie
wusste, dass er sinnlos war. »Ich habe eine Schere !« ,
rief Hussein und lachte laut. Er hielt ein Taschenmesser hoch und klappte die
Schere aus. »Schneiden muss ich«, sagte Elise.
    »Ich auch,
das ist meine Schere !« , beharrte Hussein, und sie
einigten sich auf die Hälfte für jeden.
    Blau. Mehr
blau. Am meisten blau.
    Marie-Ursula
saß ganz still und gab keinen Ton von sich, während die beiden schnitten, aber
die Tränen liefen ihr über die Wangen, und es war, als spiegelte sich das Blau
von ihren Haaren in ihren Lippen, auf die sie biss, bis sie bluteten. Ich sah
in die andere Richtung, damit ich nicht auch zu weinen anfing.
    Marie-Ursula
die Haare abzuschneiden, das war schlimmer, als sie Samson abzuschneiden. Ohne
die Haare würde Marie-Ursula nicht mehr Marie-Ursula mit den sechs blauen
Zöpfen sein, und das würde bedeuten, dass sie überhaupt nicht mehr Marie-Ursula
war. Ich überlegte, ob es vielleicht genau das war, weshalb die sechs blauen
Zöpfe ein Teil der Bedeutung waren, aber ich traute mich nicht, das laut zu sagen.
Auch nicht leise. Denn Marie-Ursula war meine Freundin, selbst wenn sie nicht
mehr die Marie-Ursula mit den sechs blauen Zöpfen und etwas Besonderes und
ganz sie selbst war. Zuerst schnitt Elise einen Zopf ab. Dann schnitt Hussein
einen ab. Sie mussten an den Zöpfen zerren, denn die Schere war stumpf und
Marie-Ursulas Haar dick. Sie brauchten zwanzig Minuten für alle sechs. Danach
sah Marie-Ursula aus wie eine, die sich verlaufen hat und besser in einer
Anstalt aufgehoben wäre.
    Die abgeschnittenen Zöpfe wurden hübsch ordentlich oben auf den Berg
aus Bedeutung gelegt. Blau. Mehr blau. Am meisten blau.
    Marie-Ursula betrachtete die Zöpfe lange. Auf ihren Wangen waren keine
Tränen mehr. Stattdessen funkelten ihre Augen vor Zorn. Sie drehte sich ruhig
zu Hussein um und sagte mit sanfter Stimme und nur ganz leicht zusammengebissenen
Zähnen: »Dein Gebetsteppich !«
     
    12
     
    Hussein
machte Ärger.
    Hussein
machte so viel Ärger, dass wir schließlich gezwungen waren, ihn zu verprügeln.
Das heißt, Ole und der große Hans. Wir anderen sahen zu. Es dauerte ein
bisschen, aber am Ende lag Hussein mit dem Gesicht in den Sägespänen und Ole
auf dem Rücken am Boden und sagte nichts mehr. Als er aufstehen durfte, sah er
aus, als habe er schreckliche Angst, er zitterte fast. Aber er schien sich
nicht vor Ole und dem großen Hans zu fürchten. Vor wem er Angst hatte, das
begriffen wir erst, als Hussein weinend seinen Gebetsteppich abgeliefert hatte
und danach fast eine Woche lang nicht in der Schule erschien. Als er endlich
wiederkam, war er überall blau und grün und gelb, und ein Arm war gebrochen. Er
wäre kein guter Moslem, hatte sein Vater gesagt und ihn windelweich geschlagen.
Das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass er kein guter Moslem
war. Schlechter Moslem! Kein Moslem! Niemand!
     
    Hussein
wirkte vernichtet.
    Er ging mit schleppenden
Schritten und gesenktem Kopf, und während er früher beim Schlagen und Schubsen
fast etwas zu schnell bei der Sache war, wehrte er sich nun nicht einmal, wenn
andere auf ihn losgingen.
     
    Der
Teppich war schön, das muss ich zugeben. Die Muster verwoben sich rot und blau
und grau ineinander, und er war so weich und fein, dass Aschenputtel für den
Teppich beinahe den Sarg des kleinen Emil verlassen hätte. Da legte Jan-Johan
den Teppich zuoberst auf den Berg aus Bedeutung, wohin Aschenputtel nicht
klettern konnte, und das half. Aschenputtel blieb, wo sie war.
    Hussein
wollte erst nicht sagen, was der Nächste abliefern sollte. Wenn wir ihn
deswegen unter Druck setzen wollten, schüttelte er nur traurig den Kopf.
    Pierre Anthons Rufen hatte wieder angefangen zu uns vorzudringen,
und Hussein musste endlich mal in Gang kommen. Es war schon Oktober, und wir
waren noch lange nicht fertig. Aber es musste bald Schluss damit sein - doch
sechs fehlten noch.
    Am Schluss, als Hussein sich nicht länger
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher