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Teeblätter und Taschendiebe

Titel: Teeblätter und Taschendiebe
Autoren: Charlotte MacLeod
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noch nicht gefragt. Ich glaube nicht, daß er schon wach ist. Möchtest du ein Glas Milch?«
    »O Gott, bloß nicht!«
    »Ich eigentlich auch nicht.« Trotzdem ging Sarah zum Kühlschrank. »Immer müssen wir Frauen für alles büßen«, klagte sie und leckte sich den schmalen weißen Schnurrbart von der Oberlippe. »Soll das bedeuten, du bleibst wegen der Sache gestern abend hier?«
    »Warum nicht? Ich übe schon mal ein bißchen für meine Rolle als Familienvater. Dolph und Mary gehören doch schließlich zur Familie, nicht? Offen gestanden, Kätzele, habe ich schon die ganze Zeit befürchtet, daß irgendwann etwas schieflaufen würde. Ich halte die bedruckten Taschen nämlich für einen gravierenden Fehler.«
    »Aber sie sollten den SCRC-Mitgliedern doch nur das Gefühl geben, daß sie eine wichtige Arbeit verrichten und nicht einfach nur im Abfall herumwühlen«, protestierte Sarah. »Damit sollte ihr Selbstbewußtsein gestärkt werden. Außerdem haben sie
    Dolph keinen Pfennig gekostet. Er hat sie von einem alten Freund geschenkt bekommen, dem eine Druckerei gehört.«
    »Weiß ich doch alles.« Max goß Saft für sich und Sarah ein. »Wenn man sich eine Identität aufbaut, hat man hinterher immer das Problem, daß man verdammt leicht identifizierbar ist.«
    Er trank ein wenig Saft. »Stell dir mal vor, ich würde an einer Ecke stehen und dealen. Plötzlich sehe ich jemanden auf mich zukommen, der wie ein Beamter vom Rauschgiftdezernat aussieht. Verständlicherweise habe ich keine Lust, mich mit meinem Stoff erwischen zu lassen. Zufällig bemerke ich einen harmlosen alten Kerl, der in der Nähe im Müll wühlt, und sehe, daß er eine schöne, praktische Tragetasche bei sich hat, auf der in großen fetten Buchstaben SCRC prangt. Ich vermute weiterhin, daß er sich nur im Schneckentempo weiterbewegen wird und ich ihn spielend leicht einholen kann, nachdem der Beamte mich gefilzt und für clean befunden hat. Und die Tasche ist leicht zu erkennen. Also stecke ich heimlich den Stoff zu seinem Leergut in die Tragetasche, lasse ihn seine übliche Runde machen und folge ihm erst, sobald die Luft wieder rein ist. Schließlich verwickle ich ihn in ein kleines Gespräch, mache währenddessen seine Tasche auf, schnappe mir meinen Stoff und verschwinde.«
    Er trank seinen Saft aus. »Zweite Version: Ich trete einer ehrbaren Wohltätigkeitsorganisation bei, besorge mir eine offizielle SCRC-Mitgliedskarte und eine Tasche, an der mich meine Kunden leicht erkennen. Ich deale sozusagen direkt aus der Tragetasche, bis ein unzufriedener Kunde mir eins über den Schädel haut und mir das Zeug abnimmt.«
    »Denkst du etwa, daß Chet Arthur sowas gemacht hat?«
    »Ich versuche, möglichst gar nichts über Chet Arthur zu denken, bis die chemische Analyse vorliegt. Das Pulver kann genauso gut harmlos sein, beispielsweise ein Mittel gegen Fußpilz oder so.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht. Du hast deinen Flug nach Marseille bestimmt nicht wegen irgendwelcher Schweißfüße abgeblasen. Wie wär's mit Rührei und einem getoasteten Bagell«
    »Wie war's mit einem getoasteten Bogel und ein bißchen Schmusen?«
    »Das hast du vor acht Monaten auch gesagt, und was daraus geworden ist, siehst du ja.« Sarah hauchte ihrem Gatten einen keuschen Kuß auf die Stirn und machte sich daran, Bogels zu toasten, eine Köstlichkeit, die sie immer noch als höchst luxuriös und exotisch ansah.
    »Wann hast du vor, deinen Chemiker aufzusuchen?« »Sobald wie möglich. Ich erwarte nur noch einen Anruf aus Gent.«
    »Hoffentlich mit guten Neuigkeiten.«
    »Das hoffe ich auch. Ah, das ist er bestimmt schon.«
    Doch am Apparat war nicht Gent, sondern Mary Kelling. »Max, ich habe nachgedacht.«
    »Hast du Lust, mich an den Früchten deines Nachdenkens teilnehmen zu lassen?« ermunterte er sie, als er merkte, daß sie zögerte.
    »Naja, ich will die Sache nicht noch schlimmer machen, als sie ohnehin schon ist, aber nachdem ihr gestern abend fort wart, habe ich darüber nachgedacht, was Chet Arthur
    wohl drüben in der Back Bay gemacht haben könnte. Und da ist mir eingefallen, daß Chet seine kleinen Macken hatte, wie die meisten von uns älteren Menschen. Eine seiner Macken bestand darin, daß er panische Angst hatte, sich auch nur einen Schritt über die Arlington Street hinaus zu wagen. Du weißt ja, daß die Back-Bay-Region ursprünglich Sumpfgebiet war und erst durch aufgeschüttetes Erdreich entstanden ist. Und das gilt für die Arlington, Berkeley,
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