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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag
Autoren: Henning Mankell
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Leanders Kriminalroman zur Wehr setzen konnte, war, eine ebenso überraschende, starke Karte auf den Tisch zu legen.
    - Worum soll es gehen?
    - Um die Wirklichkeit.
    - Interessanter Gedanke. Welche Wirklichkeit?
    - Die unheilbare Tristesse des Alltags.
    Jesper Humlin erhob sein Haupt. Ihm war, als hätte Viktor Leander ein wenig zu zittern begonnen.
    - Es wird auch ein Element von Verbrechen darin enthalten sein.
    - Du wirst also eine Krimiserie fürs Fernsehen schreiben?
    - Aber nein. Das Verbrechen wird unter der Oberfläche verborgen sein. Ich glaube, die Menschen haben den konventionellen Polizeiroman satt. Ich werde einen ganz anderen Weg einschlagen.
    - Was für einen Weg?
    - Ich habe mich noch nicht entschieden. Es stehen verschiedene Möglichkeiten zur Wahl.

Jesper Humlin hob sein Glas. Jetzt hatte er den Ausgleich erzielt.
    - Die Wirklichkeit und der graue Alltag, sagte er. Ein heutzutage unterschätztes literarisches Thema.
    - Was gibt es Bemerkenswertes darüber zu sagen, außer der Tatsache, daß der Alltag trist ist?
    - Ich habe jede Menge Ideen.
    - Ich höre mit großem Interesse zu.
    - Es ist noch zu früh. Wenn ich jetzt darüber sprechen besteht die Gefahr, daß ich meine Inspiration zerrede.
    Sie bestellten den Nachtisch und kehrten wie in einer schweigenden Übereinkunft auf ein neutrales Gebiet zurück. Beide schätzten den Klatsch.
    - Was ist in meiner Abwesenheit passiert?
    - Nicht viel.
    - Irgendwas passiert immer.
    - Einer von den Verlegern aus dem großen Verlag hat sich erhängt.
    - Wer?
    - Carlman.
    Jesper Humlin nickte nachdenklich. Carlman hatte einst eine seiner frühesten Gedichtsammlungen abgelehnt.
    - Sonst etwas von Bedeutung?
    - Die Börse schwankt.
    Jesper Humlin schenkte ihnen nach.
    - Ich hoffe, du warst nicht so dumm, auf den Neuen Markt zu setzen.
    - Ich habe mich von jeher an die Säulen der schwedischen Wirtschaft gehalten. Eisen und Wald. Aber es schwankt überall.
    - Als ich erkannt habe, in welche Richtung es sich bewegt, habe ich mich auf Obligationen verlegt. Langweilig, aber sehr viel weniger gefährlich.

Der ökonomische Kampf zwischen den beiden wurde ständig geführt. Jedes Jahr studierten beide das Verzeichnis der höheren Einkommensträger, und sie hatten sich bereits vergewissert, daß der andere kein Erbe zu erwarten hatte.
    Nach genau drei Stunden, als der Klatsch erschöpft war, teilten sie die Rechnung zwischen sich auf und verließen das Lokal. Bis zur Munkbron hinunter hatten sie denselben Weg.
    - Ich hoffe, du kommst gut voran mit deinem Detektivroman. - Nicht Detektivroman. Kriminalroman. Das ist nicht dasselbe.
    Viktor Leander hatte etwas Harsches in der Stimme, als er antwortete. Jesper Humlin spürte, daß er immer noch derjenige war, der die Oberhand hatte.
    - Danke für den netten Abend. Wir sehen uns in einem Monat.
    - Danke gleichfalls. In einem Monat.
    Dann winkte jeder von ihnen ein Taxi heran und verschwand eilig in seine Richtung. Jesper Humlin nannte eine Adresse in Östermalm, lehnte sich im Sitz zurück und schloß die Augen. Daß es ihm gelungen war, Viktor Leander im Verlauf des Abends ein paar tiefe Schrammen zu verpassen, befriedigte ihn. Außerdem gab es ihm zusätzlich Kraft für das, was ihm bevorstand.
    An drei Abenden in der Woche besuchte Jesper Humlin seine alte Mutter. Sie war voller Vitalität, aber eigensinnig und mißtrauisch. Es war nie vorherzusehen, wie ein Gespräch mit ihr ablaufen würde. Jesper Humlin hatte immer ein paar harmlose Gesprächsstoffe parat, wenn er die Mutter besuchte. Jedesmal, wenn sie miteinander in Streit gerieten, wünschte er, sie würde bald sterben. Aber wenn ihre Gespräche freundlich verliefen, kam ihm mitunter der Gedanke, er sollte irgendwann eine Gedichtsammlung über sie schreiben.
    Es war Viertel vor elf, als er an der Tür läutete. Seine Mutter, die Märta hieß, war ein Nachtmensch und stand selten

vor Mittag auf, sie ging auch nicht vor dem Morgengrauen schlafen. Ihre beste Zeit begann um Mitternacht. Während Jesper Humlin im Treppenhaus wartete, dachte er an all die Male, die er mit seiner Müdigkeit gekämpft hatte, während seine Mutter immer gesprächiger wurde.
    Die Tür wurde mit der erwartungsvollen, aber zugleich mißtrauischen Phrenesie aufgerissen, die charakteristisch für seine Mutter war. Märta Humlin trug an diesem Abend einen uniformartigen Hosenanzug, den er vage aus Filmen, zu kennen meinte, die in den dreißiger Jahren spielten.
    - Ich dachte, du wolltest um elf
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