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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag
Autoren: Henning Mankell
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reden.
    - Natürlich willst du das. Ich verstehe nicht, wieso du dich dauernd so aufregst. Laß morgen von dir hören.
    Das Gespräch war vorbei. Vorsichtig legte Jesper Humlin den Hörer auf die Gabel zurück, als fürchte er, das Gespräch wieder zum Leben zu erwecken.
    Die Tafel war üppig gedeckt. Jesper Humlin stellte fest, daß er zum ersten Mal seit vielen Jahren zu Hause bei seiner Mutter Hunger verspürte. Er bemerkte auch den Respekt, den die Mädchen ihr entgegenbrachten. Es war, als hätte nichts von dem, was in ihren Erzählungen ans Licht gekommen war, während dieses Essens Gültigkeit. Solange sie hier saßen, befanden sie sich in einem geschützten Raum, wo weder die Erinnerungen noch die Wirklichkeit ihnen etwas anhaben konnten. Jesper Humlin dachte, er hätte Andrea einladen sollen. Sie hätte mit am Tisch sitzen sollen, dann hätte sie etwas von dem verstanden, was er ihr nicht zu erklären vermocht hatte. Genau wie Viktor Leander, seine Ärztin, der Makler Buren; alle, die zu seinem inneren Kreis gehörten. Aber vor allem eine Person war es, die ihm fehlte.
    Jesper Humlin entschuldigte sich, verließ den Tisch und rief Pelle Törnblom vom Telefon im Arbeitszimmer seiner Mutter an. Er wählte die Nummer des Boxklubs. Amanda war am Apparat.
    - Ich komme manchmal zum Putzen her. Sonst würde es so versifft aussehen, daß es niemand hier aushalten würde.
    - Ich glaube, ich habe dir nie gesagt, was für einen prima Kerl du zum Mann hast.
    - Kerle gibt es genug. Männer sind rarer. Pelle ist ein Mann. Während er wartete, überlegte Jesper Humlin, worin der Unterschied bestand. Pelle Törnblom kam an den Apparat.

Jesper Humlin berichtete von dem hastigen Aufbruch aus Göteborg. Pelle Törnblom gluckste zufrieden.
    - Im Haus des Polizeipräsidenten?
    - Tanja hat es behauptet. Sie lügt ja normalerweise nicht.
    - Sie lügt immerzu. Aber nicht was solche Sachen angeht. Was hast du jetzt vor?
    - Es geht nicht darum, was ich vorhabe. Eins haben diese Mädchen mich gelehrt. Sie kommen allein zurecht. Sie sind keine hilflosen Opfer. Sie gehen siegreich aus jedem Boxmatch hervor, in das sie hineingezwungen werden.
    - Ich habe doch gesagt, daß es gutgehen wird, habe ich das nicht gesagt?
    - Nichts von dem, was ich mir vorgestellt habe, ist Wirklichkeit geworden. Ich wollte ihnen beibringen, wie man schreibt. Die längste Erzählung, die eine von ihnen geschrieben hat, ist gerade mal ein paar Zeilen lang.
    - Wer hat gesagt, daß alles auf Papier geschrieben sein muß? Das Wichtigste ist doch wohl, daß sie überhaupt den Mut haben zu erzählen. Halt mich über alles, was passiert, auf dem laufenden. Ich muß draußen nach dem Rechten sehen. Da prügeln sich zwei Jungs.
    Pelle Törnblom legte auf. Jesper Humlin blieb am Schreibtisch sitzen und lauschte dem aufgeräumten Gespräch am Eßtisch. Plötzlich war ihm klar, daß er sich ihnen nicht anschließen konnte, ehe er einen Entschluß gefaßt hatte. Sollte er Olof Lundin nachgeben und diesen Kriminalroman schreiben, der sich vielleicht gut verkaufte und die Finanzen aufbesserte, die Anders Buren in den Sand gesetzt hatte? Was blieb ihm eigentlich für eine Alternative? Was wollte er? Gegenüber Tea-Bag, Tanja und Leyla fühlte er sich plötzlich wie ein Taschendieb. Auf dieselbe Weise, wie Tanja sich Mobiltelefone aneignete, schaufelte er ihre Erzählungen in seine Taschen.

Er stand auf und ging zum Fenster. Erinnerte sich daran, wie er Tea-Bag mit einem Affen auf dem Rücken um eine Straßenecke hatte verschwinden sehen. Tea-Bag, die nach Schweden gekommen war, nachdem sie in einem Flüchtlingslager in Spanien einen Journalisten getroffen hatte, einen Mann, der sich für ihre Geschichte interessiert hatte. Das ist natürlich der richtige Weg, dachte er. Das erkannte er jetzt ganz klar und deutlich. Die Flucht war falsch. Tea-Bag, Tanja und Leyla sollten sich nicht verstecken müssen. Da lag der Fehler. Statt dessen sollten sie die Journalisten mit der einzigen Waffe zu sich locken, die sie besaßen: daß sie sich illegal in Schweden aufhielten. Daß sie Geschichten über ein Leben mit sich trugen, von dem nur wenige Schweden etwas wußten.
    Er mußte nicht lange überlegen. Sein Entschluß stand fest. Er holte sein Adreßbuch hervor und machte sich daran, ein paar Gespräche zu führen. Bald hatte er mit den Journalisten verschiedener Abendzeitungen gesprochen. Und sie hatten verstanden.
    Er blieb am Schreibtisch sitzen, bis seine Mutter kam, um nach ihm zu
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