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Tarzan am Main

Tarzan am Main

Titel: Tarzan am Main
Autoren: Wilhelm Genazino
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sexistischen Mitteln aufgeputzt und die Hauszeitschrift der neuen befreiten Jugend werden. Denn das war die schon damals unglaubliche Parole dieser Jahre: Vögelt euch frei. Keiner der Redakteure glaubte an die Lustparolen, im Gegenteil, die Redakteure verhöhnten ihren Verleger. Die Redakteure hatten ihren Adorno und ihren Marcuse gelesen und wussten, was man, gerade unter dem Vorzeichen der »Befreiung«, unter repressiver Toleranz zu verstehen hatte.
    Es dauerte nicht lang, dann bildete auch pardon nackte Frauen ab, sogar auf dem Titel. pardon ähnelte jetzt dem Stern und der Quick . Es kam schnell zu Reibereien mit Chefredakteur und Verleger, aber es war klar, dass die Redakteure keine Macht hatten. Sie hatten nur Probeverträge, die nicht verlängert werden mussten, wenn sich herausstellte, dass der Redakteur x mit den verlegerischen Zielen nicht harmonierte. Ein eigens ins Leben gerufenes Redaktionsstatut sollte helfen, die Übermacht der Chefredaktion zurückzudrängen. Natürlich wurde keine vorhandene Macht zurückgedrängt, das Redaktionsstatut war (wie vieles, was damals entstand) Sozialfolklore. Abends, nach Feierabend, trafen sich die Redakteure in einer deprimierend schlichten Wirtschaft, deren heruntergekommenes Mobiliar ein Ausdruck ihrer Seelenlage war. In dieser wirklichkeitsgesättigten Kneipe trafen sich über viele Jahre hin zahllose neue Künstler: Zeichner, Maler, Schriftsteller, Tänzerinnen, Regisseure, Schauspieler – das »Theater am Turm« war nicht weit. Dennoch wurde aus der Absteige kein Künstlerlokal. Frankfurt hatte nie ein Künstlerviertel und deswegen auch keine Künstlertreffpunkte. Das Stammpublikum waren melancholische Kleinbürger, die einsam an der Theke standen und nur selten redeten. Manchmal stieß ein schlecht verdienender Handelsvertreter die Tür auf oder ein geplagter Volksschullehrer. Die Künstler setzten sich an die Tische der »anderen« und redeten über Kunst und Literatur. Ich denke, die Künstler waren mit der Unauffälligkeit ihrer Existenz einverstanden beziehungsweise: hielten diese Unauffälligkeit für eine Art Schutz.

Die satirische Zeitschrift pardon hatte Anfang der siebziger Jahre ein gutes Image. Sie war angriffslustig, unterhaltsam, komisch und politisch links, ohne deswegen schon verbohrt oder verbissen zu sein. Dem Frankfurter Verlag Bärmeier & Nikel, der die Zeitschrift herausbrachte, war es gelungen, dem Blatt nach anfänglichen Schwierigkeiten ein größer werdendes Publikum zu sichern. Begünstigt wurde der Aufstieg durch die politische Konstellation der Zeit. Anfang der siebziger Jahre machte sich mehr und mehr der Auftritt der Außerparlamentarischen Opposition bemerkbar, der APO. Diese APO hatte kein angemessenes publizistisches Organ. Die siebziger Jahre waren gleichzeitig die einflussreichste Zeit des Hamburger Pressekonzerns Axel Cäsar Springer, der in den Augen der Linken eine schwer erträgliche Erscheinung war. Man kann sagen, dass ohne die Übermacht des Hauses Springer die Zeitschrift pardon kaum die vielfältige Aufmerksamkeit gefunden hätte, die ihr damals zufiel. Hinzu kam, dass es seit Jahrzehnten kein wirksames satirisches Organ in der damals jungen Bundesrepublik gegeben hatte. Das einzige, aus dem Wilhelminismus übriggebliebene satirische Blatt war der in München erscheinende Simplicissimus gewesen, der kaum noch Beachtung fand. Noch immer brachte der Simplicissimus inzwischen fast zahnlose Witze über alte Militärs, die in einem Kasino angestaubte Reden halten und nicht merken, dass ihre Zeit vorüber ist. Dagegen hatte pardon tatsächlich den Kampf gegen den Goliath Springer aufgenommen, eine ehrenwerte, aber groteske, von heute aus gesehen schier lächerliche Anstrengung. Zum Beispiel brachte die gesamte pardon -Redaktion einen ganzen Monat damit zu, die journalistische Stichhaltigkeit einer einzigen Ausgabe der BILD-Zeitung nachzuprüfen. Also recherchierten die Redakteure den Wahrheitsgehalt jedes einzelnen Artikels der BILD-Zeitung nach. Das Ergebnis war kein Ruhmesblatt für den Springer-Konzern. Freilich war dieses Ergebnis absehbar gewesen; insofern war die Nachrecherche ein überflüssiger linker Luxus gewesen, der sicher keinen einzigen BILD-Leser dazu animierte, sich mal eine andere Zeitung zu kaufen.
    Dennoch fuhr die pardon -Redaktion komplett nach Hamburg. Wir zogen uns (wie Zeitungsverkäufer) weiße Kittel an, setzten uns weiße Kappen auf, legten uns die BILD-Imitation von pardon in ausreichender Zahl
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