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Tante Inge haut ab

Tante Inge haut ab

Titel: Tante Inge haut ab
Autoren: Dora Heldt
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setzte den roten Hut auf und musterte sich im Spiegel. »Perfekt«, sagte sie laut, »Inge, für dein Alter siehst du wirklich grandios aus. Und das ist erst der Anfang. Ihr werdet euch noch alle wundern.« •
     Johann und Christine bürsteten sich auf der Haustreppe gerade den Sand von den Füßen, als das Taxi vor der Auffahrt hielt. Heinz stand in der Haustür und beugte sich nun nach vorn.
    »Tatsächlich. Inge. Was hat sie denn da auf dem Kopf?«
    »Einen Hut, Heinz.« Charlotte drückte sich an Heinz vorbei und ging dem Taxi entgegen. »Nun komm.«
    Heinz stieg langsam die Treppe nach unten.
    »Einen Hut. Wozu das denn? Ist sie jetzt vornehm, oder was?«
    Angestrengt verbiss sich Johann das Lachen, Christine stieß ihn an.
    »Los, beweise ihr, dass du nicht mein Geld willst, sei charmant!«
    »Ich werde mich bemühen.« Er küsste ihren Nacken, was ihnen einen belustigten Blick von Tante Inge einbrachte, und lief mit großen Schritten zum Taxi, wo er seine Geldbörse aus der Jeans zog, um zu bezahlen. Tante Inge nickte ihrer Nichte zufrieden zu.
    »Gar nicht so schlecht, dein junger Mann.«
    »Tante Inge!«
    »Hüte dich vor kleinlichen Männern. Ich kann ein Lied davon singen. Gehen wir in den Garten? Am besten kommt ihr gleich mit, dann muss ich die Geschichte nicht dreimal erzählen.«
    Sie ging schwungvoll voraus, die anderen folgten dem roten Hut. Sie warteten geduldig ab, bis Tante Inge auf dem dritten Gartenstuhl, den sie ausprobierte, sitzen blieb.
    »So«, prüfend hob sie das Gesicht, »hier ist es gut. Ab einem bestimmten Alter sollte man vorsichtig mit der Sonne sein. Zur Strafe kriegt man Falten.«
    Charlotte, die sich gerade setzen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne und schob ihren Stuhl etwas zur Seite.
    »Ach ja? Seit wann machst du dir darüber Gedanken? Früher hast du stundenlang in der Sonne gelegen.«
    »Leider. Na ja, dafür finanziere ich jetzt ganze Kosmetikkonzerne. Christine, ich meinte auch dich.«
    Mit geschlossenen Augen ließ Christine sich die Sonne ins Gesicht scheinen. »Ach, Tante Inge, wenn wir mehr als drei Tage schönes Wetter haben, leihe ich mir deine teure Creme.«
    Johann, der sich neben sie auf die Bank gesetzt hatte, drückte seinen Oberschenkel an ihren. Nach einem Räuspern ihres Vaters rutschte er ein Stück zur Seite.
    »Wolltest du auf die Bank?«
    »Eigentlich ist das mein Platz.« Heinz klang ein bisschen beleidigt. »Aber egal. Ich muss mir sowieso meine Mütze holen. Inge hat recht mit der Sonne. Ich bringe etwas zu trinken mit. Johann, komm, du kannst tragen helfen.«
    Christine hielt die Augen geschlossen. Sie sagte sich, dass Johann ein erwachsener Mann war und ihr Vater 73. Es gab keinen Grund, sich einzumischen. Kaum waren die beiden weg, setzte sie jedoch ihre Sonnenbrille auf und beugte sich zu Inge.
    »So, Tante Inge, jetzt erzähl. Was ist mit Onkel Walter?«
    »Also ...«
    Sie wurde von ihrer Schwägerin unterbrochen: »Willst du nicht warten, bis Heinz wieder da ist? Sonst musst du es ja doppelt erzählen.«
    »Ach, Heinz. Ich kann mir schon denken, wie der reagiert, Männer sind doch alle gleich. Er kriegt die verkürzte Version. Also, ich war doch in Bad Oeynhausen zur Kur. Und da habe ich eine sehr kluge Frau kennengelernt, Renate. Sie hat mir die Augen geöffnet. Ich bin nämlich in den besten Jahren, was man von Walter nicht behaupten kann. Ständig hat er eine neue Krankheit. Mal ist er kurz vor einem Herzinfarkt, dann hat er das Gefühl, seine Niere arbeitet nicht mehr, im Moment sind Diabetes und Thrombose seine Favoriten. Er ist unerträglich. Außer er macht für irgendeinen seiner Freunde die Steuern, dann ist er kerngesund. Aber wie es in mir aussieht, das interessiert ihn überhaupt nicht. Andere Frauen werden zum Essen ausgeführt, machen Reisen, gehen in Konzerte, bekommen Blumen und Aufmerksamkeiten, nur ich sitze neben Walter auf dem Sofa, höre mir seine neuesten Krankengeschichten an, schmiere Schnittchen und gucke Bundesliga und Tagesschau. Es reicht. Es ist so langweilig. Ich will meine besten Jahre nicht mit so was verplempern. Deshalb habe ich beschlossen, mein Leben zu verändern.«
    »Du bist ja verrückt«, Charlotte ignorierte den stolzen Ton, in dem Tante Inge den letzten Satz gesagt hatte, »total verrückt. War das die Idee von dieser Renate?«
    »Was heißt hier diese Renate? Sie ist eine gute Freundin von mir, sehr lebenserfahren und klug. Sie war fassungslos, dass ich mich mit so wenig zufriedengebe. Sie hat
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