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Tante Inge haut ab

Tante Inge haut ab

Titel: Tante Inge haut ab
Autoren: Dora Heldt
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vielleicht.«
    »Woher denn? Walter hat gesagt, dass sie noch zur Kur ist. Er hätte doch wissen müssen, dass sie nach Sylt fährt. Vielleicht hat er einfach was durcheinandergebracht. Komisch. Er wird doch hoffentlich nicht senil.«
    Christine warf den letzten Löffel in die Schublade und hängte das Handtuch weg. »Sie kommt jedenfalls später vorbei, dann kannst du sie selbst fragen.«
    »Da stimmt irgendwas nicht.« Nachdenklich verrieb Charlotte einen kleinen Wasserfleck auf der Spüle. »Hoffentlich ist da nichts passiert.«
    In diesem Moment kam Johann die Treppe runter. Es war einfach perfekt, dachte Christine, sie hatte mit diesem wunderbaren Mann zwei Wochen Urlaub. Sie beide, ganz alleine. Bei dem Gedanken daran bekam sie weiche Knie und ein rotes Gesicht. Als er vor ihr stand, küsste sie ihn und flüsterte: »Komm, ich zeige dir den Strand. Lass uns fahren.«
    Wenn sie gewusst hätte, was noch alles auf sie zukommen sollte, wäre sie mit ihm zwei Wochen am Strand geblieben. Egal, wie das Wetter gewesen wäre. Kampen, im Mai
    Liebe Renate,
    Du glaubst nicht, was ich getan habe! 
    Du hattest ja so recht: Walter hat sich während meiner Kur natürlich überhaupt nicht verändert. Von wegen, er hätte sich vier Wochen selbst versorgt und alles allein geregelt. Montag, Mittwoch und Freitag hat er bei den Nachbarn rechts von uns gegessen, Dienstag und Donnerstag bei Pias Schulfreundin Jutta, und am Wochenende hat er sich im Fußballstadion eine Wurst gekauft. Dafür macht er jetzt alle Steuererklärungen umsonst und kommt gar nicht mehr von der Rechenmaschine weg. Und das als Rentner.
    Der Gipfel passierte dann am letzten Donnerstag. Da kam er an und sagte, ich wollte doch immer mal zu Lesungen oder ins Theater, er hätte jetzt Karten besorgt für einen sehr interessanten Vortrag. Ich sollte mich schick machen, er würde mich hinterher noch zu einem Drink (das hat er wirklich gesagt! Drink!) ausführen. Das passte mir gut, ich wollte ja unbedingt etwas Wichtiges mit ihm besprechen, und das schien eine sehr gute Gelegenheit. (Um was es dabei genau geht, erzähle ich Dir mal in aller Ruhe, das lässt sich schlecht schreiben.)
    Aber zurück zu diesem Abend, Renate, ich schwöre Dir, wenn nicht so viele Zeugen im Raum gewesen wären, ich hätte ihn umgebracht. Wir waren nämlich bei der AOK, bei einem Vortrag über Diabetes! Walter sagte, er hätte immer so einen stechenden Durst, garantiert würde er an Altersdiabetes leiden. Ich sollte mal genau zuhören, er wäre sich da ganz sicher. Anschließend gab es belegte Brötchen, da hat sich mein Diabetiker viermal welche mit Heringssalat geholt. Er mochte nämlich mein Abendessen nicht. (Ich hatte diesen tollen Salat mit Avocados und Sprossen gemacht. Das war ja klar, ich stehe zwei Stunden in der Küche und probiere was Neues, und der Herr haut sich anschließend Heringssalatbrötchen rein.)
    Und dann der »Drink«! Zwei Pils in Jürgens Eckkneipe, der hat nämlich Premiere-Fernsehen, und da gab es eine Zusammenfassung vom englischen Fußball. Ich war vielleicht sauer! Und Walter hat das noch nicht mal mitbekommen!
    Am nächsten Morgen habe ich nicht mit ihm geredet, das hat er, glaube ich, auch nicht gemerkt. Dafür ist er zum Arzt gegangen. Er hätte immer so schwere Beine, und sein Freund Günther hatte eine Thrombose. Na ja, er ist Privatpatient, deswegen bleibt unser Hausarzt wohl so freundlich.
    Als Walter zurückkam, hat er nur von Günther und seiner Thrombose erzählt und dass der Arzt sich irren muss (er hat natürlich nichts gefunden). Ich habe geantwortet, dass die schweren Beine ja vielleicht auch von seinem Altersdiabetes kommen könnten, da war er ganz begeistert. Er will nun einen Zuckertest machen lassen.
    Und da platzte mir der Kragen. Ich habe ihm gesagt, dass ich so nicht weiter leben will. Und dass ich eine Zeitlang verreisen werde, um über alles nachzudenken. Und weißt Du, was er geantwortet hat? »Aber Inge, Zucker ist doch keine Geisteskrankheit. So schlimm ist das doch nicht.«
    Ich habe ihm gesagt, er wäre bereits geisteskrank, und habe meine Koffer gepackt. Und weil ich keine Lust habe, diese privaten Dinge mit meinem Bruder Heinz zu besprechen, also vom Regen in die Traufe zu kommen, habe ich mir bei Petra, der Tochter einer alten Freundin, für die nächsten Wochen auf Sylt eine Ferienwohnung gemietet. Ich bekomme einen Sonderpreis. So, meine Liebe, ich sehe Dich lachen. Ich bin richtig froh, dass wir uns in der Kur getroffen haben
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