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Tante Inge haut ab

Tante Inge haut ab

Titel: Tante Inge haut ab
Autoren: Dora Heldt
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gesagt, ich hätte ja wohl etwas Besseres verdient.«
    Charlotte schnaubte, aber Christine kam ihr zuvor. »Und was willst du verändern? Also, ich meine, suchst du dir jetzt einen Liebhaber? Oder machst du mit Renate eine WG auf? Oder gehst du auf eine Weltumsegelung? Was hast du vor?«
    Tante Inge faltete die Hände, lehnte sich zurück und lächelte vergnügt. »Vielleicht von allem ein bisschen. Ihr werdet es rechtzeitig erfahren. Da kommen die Jungs zurück.«
    Heinz warf einen kurzen Blick auf Johann, der mit einem Flaschenträger hinter ihm ging, und beschleunigte seine Schritte. Nachdem er sich neben Christine auf die Bank gesetzt hatte, deutete er auf den Stuhl neben seiner Frau.
    »Guck mal, Johann, das ist der beste Platz im ganzen Garten. Und, Inge? Was gibt es Neues?«
    »Deine Schwester ist verrückt geworden.« Charlotte griff nach einer Bierflasche und hebelte den Kronkorken weg. »Sie will sich verändern.» Sie sprach das Wort aus, als handele es sich um eine besonders widerliche Kakerlakenart.
    »Wie, verändern? Inge ist 64.« Heinz warf erst einen irritierten Blick auf seine Ehefrau, die aus der Flasche trank, dann auf seine Schwester, die ihn freundlich ansah. »Bist du für so was nicht ein bisschen zu alt? Und was sagt Walter dazu?«
    »Charlotte, nimm dir doch ein Glas.« Inge musterte stirnrunzelnd ihre Schwägerin. »Du bist doch kein Bauarbeiter. Walter? Der hat das noch nicht begriffen. Aber das wird er schon noch. Jedenfalls bleibe ich erst mal eine Zeitlang bei Petra.«
    »Aber du willst ihn nicht verlassen, oder?«, fragte Heinz beunruhigt.
    Johann zuliebe beschloss Christine, die Wogen etwas zu glätten. »Papa, lass doch. Sie macht jetzt erst mal Ferien.«
    »Aber sie ist mit Walter verheiratet. Inge, ihr habt doch in fünf Jahren goldene Hochzeit. Das wollen wir doch feiern.«
    »Heinz, ich will mein Leben ändern. Mir langt es. Ich bin zu jung, um in unserem Reihenhaus zu versauern. Und ich habe auch nicht mehr alle Zeit der Welt.«
    Johann wand sich in seinem Stuhl. Christine bekam ein schlechtes Gewissen und stand auf.
    »Tante Inge, du bist nachher doch bestimmt noch hier. Wir gehen mal eine Runde spazieren.«
    Keiner beachtete sie. Stattdessen beugte sich ihre Mutter vor und sagte: »Zu jung, um im Reihenhaus zu versauern ? Sag mal, was hast du denn in der Kur für Anwendungen gehabt? Und was sagt Pia zu dem Blödsinn?« »Was hat denn meine Tochter damit zu tun ? Die hat ja wohl ihr eigenes Leben in Berlin, das störe ich doch nicht.« Inge sah ihre Schwägerin durchdringend an. »Und du hast doch nur Angst, dass Veränderungen anstecken.«
    »Wie bitte?«
    Jetzt wurde Charlotte sauer und bekam frostige Augen.
    Heinz guckte hilflos von einer zur anderen, öffnet den Mund, schloss ihn wieder und sah Christine unsicher an. Die legte ihrer Mutter die Hand auf die Schulter.
    »Keinen Streit, bitte. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
    An Johanns Gesicht und dem zufriedenen Nicken von Heinz merkte sie, dass sie den schwachsinnigsten Satz des Tages gesagt hatte.
    »Jedenfalls gehen wir jetzt spazieren. Komm, Johann, bis später dann.«
    Kaum waren sie um die Ecke, flüsterte Johann: »Die kriegen sich gleich in die Haare, sollen wir sie wirklich allein lassen?«
    »Och«, Christine beschleunigte ihre Schritte, »wenn Erwachsene was besprechen, sollten Tochter schweigen.«  In Gedanken versunken liefen Johann und Christine durch den Lister Koog dem Sommerdeich entgegen. Auf den Seen, die sich hier bildeten, war Tante Inge früher mit Pia und Christine Schlittschuh gelaufen. Sie konnte einen kleinen Sprung und fabelhafte Pirouetten, die Mädchen waren immer furchtbar um sie beneidet worden. Außerdem hatte sie im Gegensatz zu den anderen Müttern und Tanten nie vernünftige Wintersachen getragen, sondern war immer in einem schwingenden halblangen roten Rock gelaufen. Sie war sehr elegant gewesen.
    Zu Christines Konfirmation hatte Tante Inge ihr ein Medaillon und einen gelben Minirock geschenkt. Den Rock fand Heinz unmöglich, aber Inge war nun einmal seine Schwester und setzte sich durch. Im Medaillon war ein Foto von Sean Connery, in den Inge damals ein bisschen verknallt war. Christine überlegte, ob sie dieses Bild jemals ausgetauscht hatte, sie musste dringend in ihrer Schmuckdose nachsehen. Onkel Walter sah so ganz anders aus als der brustbehaarte James Bond, trotzdem war sie seit 45 Jahren mit ihm verheiratet. Und bestimmt würde sie es auch bleiben. Wie
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