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Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Titel: Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Autoren: Nancy Atherton
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    niemand wird gern daran erinnert, dass sich keiner um ihn kümmert – platzte ich nicht mit irgendeinem Wohlfahrtsabzeichen am Ärmel bei ihnen herein, sondern tarnte meine Mission diskret. Von einem befreundeten Buchhändler lieh ich mir einen Handwagen voller Bücher und karrte ihn zu Beginn der Besuchszeit in die mir genannten Zimmer.
    Oft genug hörte dann bald der Fernseher auf zu plärren und ein Gespräch begann: zunächst über Bücher und schließlich über Gott und die Welt.
    Ein Mann erzählte von seinen Kriegserfahrungen mit Rationierungsmarken und Luftschutzkellern, alles sicher ausgeleierte Geschichten, mit denen er seine Kinder wahrscheinlich zu Tode gelangweilt hatte, aber ich lauschte gebannt. Eine von Chemotherapie und Lungenentzündung geschwächte Lehrerin bat mich einfach, ihr etwas vorzulesen, was ich sieben Tage lang tat, bis sie kräftig genug war, um in ein Pflegeheim umzuziehen, in dem dann schließlich ihre Tochter und ihr Schwiegersohn ihre Aufwartung zu machen geruhten.
    Größtenteils war ich eine passive Besucherin, die sich zurücklehnte und ihre Schützlinge reden ließ.
    Meistens waren sie froh darüber, mir ihre Geschichten erzählen und sich über das Essen beklagen zu können, und wünschten mir alles Gute, wenn sie entlassen wurden. Erst Mitte März, eine Woche nach dem fünften Geburtstag der Zwillinge und drei Wochen vor der ersten Sitzung des Fincher Sommerfestkomitees, lernte ich eine Patientin kennen, die meine Fantasie beflügelte, indem sie so gut wie nichts sagte.
    Elizabeth Beacham war unverheiratet und bekam wegen einer seltenen Form von Leberkrebs eine Chemotherapie. Eine Woche nach ihrer Einlieferung rief Lucinda Willoughby bei mir an und machte mich auf ihr Los aufmerksam.
    »Sie ist todkrank, aber das scheint niemanden zu kümmern«, informierte mich die junge Schwester.
    »Ich weiß, dass sie einen Bruder hat – sie hat ihn als ihren nächsten Angehörigen angegeben –, aber er hat sich nie die Mühe gemacht, sie hier zu besuchen. Niemand hat ihr was gebracht, weder eine Topfpflanze noch einen Blumenstrauß, nicht einmal einen Anruf hat sie gekriegt. Ich wünschte, sie läge wenigstens nicht in einem Einzelzimmer für Privatpatienten. Auf der allgemeinen Station wäre sie mit anderen zusammen, aber so hat sie nichts als den Fernseher und keinerlei Ansprache, außer den Leuten vom Personal, und die haben keine Zeit, um mit ihr zu reden. Es ist einfach schrecklich .«
    Ich gab ihr recht, und gleich am nächsten Morgen schob ich um neun Uhr meinen Bücherwagen in Miss Beachams Privatzimmer.
    Das Erste, was mir an Miss Beacham auffiel, war ihre Gebrechlichkeit. Ihr Gesicht war eingefallen wie das eines ausgehungerten Kriegsgefangenen, die Haut ihrer Hände glich blau geädertem Pergament, und von ihrem grauen Haar waren nur noch ein paar vereinzelte Strähnen übrig, die sie unter einem rot karierten Kopftuch zu verbergen suchte, das sie vom Krankenhaus bekommen hatte.
    Wie sie so an allen möglichen Infusionsschläuchen hängend in dem riesigen Bett lag, über sich eine Reihe von Überwachungsmonitoren, wirkte sie wie ein kleines Kind, doch der prüfende Blick, mit dem sie mich bei meinem Eintreten musterte, war alles andere als kindlich. Sie durchleuchtete mich förmlich, mit Augen so klar und voller Leben, dass ihre Zerbrechlichkeit in den Hintergrund zu rücken schien.
    »Guten Morgen«, sagte ich. »Ich heiße Lori Shepherd.«

    »Die Frau, die allen zuhört und Bücher bringt.«
    Miss Beachams Stimme war schwach, ihr Atem ging rasselnd. Außerdem sprach sie mit häufigen Pausen, als reichte ihre Kraft nicht für ganze Sätze.
    »Ich habe schon von Ihnen gehört, Ms Shepherd.
    Und ich fragte mich bereits, ob Sie auch mal bei mir vorbeischauen.«
    »Bitte nennen Sie mich Lori.« Ich rollte den Wagen näher an ihr Bett heran. Es brachte mich etwas aus dem Konzept, zu hören, dass mein Ruf mir vorausgeeilt war. »Wie haben Sie denn von mir erfahren?«
    »Mr Walker hat Sie erwähnt.«
    »Ach, der pensionierte Steinmetz«, erwiderte ich. Den alten Mann mit seinen mächtigen, vernarbten Händen hatte ich nicht vergessen.
    Miss Beacham nickte. »Richtig. Mr Walker und ich waren nebeneinander abgestellt – jeder in seinem Rollstuhl, verstehen Sie –, und gemeinsam warteten wir auf unseren Test. Da hat er mir erzählt, dass ihm Ihre Besuche lieber sind als die morgendlichen Talkshows im Fernsehen. Ein hohes Lob.«
    »Wirklich?« Ich warf einen Blick auf den
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