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Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Titel: Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Autoren: Nancy Atherton
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leeren Bildschirm des gegenüber Miss Beacham an der Wand angebrachten Apparats. »Mir drängt sich der Eindruck auf, dass Sie sich keine Talkshows ansehen.«

    »Lieber würde ich mir sämtliche Zähne aufbohren lassen«, entgegnete sie gelassen.
    »Das Fernsehen hat es mir auch nicht gerade angetan«, erwiderte ich mit einem anerkennenden Lachen. »Ein gutes Buch ist mir allemal lieber als eine Talkshow.«
    Sie ließ den Blick über die Buchrücken wandern.
    »Sie mögen Krimis, wie ich sehe.«
    »Menschen, die im Krankenhaus liegen, scheinen sie gern zu lesen. Das ist der Grund, warum ich so viele mitbringe.« Ich wählte ein Buch mit einem besonders schauerlichen Cover aus und hielt es Miss Beacham vor die Augen. »Einer von Mr Walkers Lieblingskrimis«, erklärte ich. »Es kann ihm gar nicht blutrünstig genug zugehen. Die Opfer in einem Krimi sollen am liebsten geköpft, erdrosselt oder mit einer Axt massakriert werden –
    das ist seine Vorstellung von leichter Unterhaltung.
    Je abscheulicher der Mord, desto besser, wenn es nach Mr Walker geht.«
    »Aber Sie persönlich sprechen Krimis nicht so an?«, bemerkte Miss Beacham.
    »Ach, ich hab nichts dagegen, hin und wieder in einem zu schmökern«, gab ich zu, »aber normalerweise ziehe ich eine gesunde Kost aus Geschichte, Memoiren und Biografien vor.«
    »Auch solche Bücher sind bisweilen gehörig mit Blut getränkt«, gab Miss Beacham zu bedenken.
    »Mary, die Königin Schottlands, hat beispielsweise ein besonders grässliches Ende gefunden.«
    »Stimmt.« Ich deutete nochmals auf Mr Walkers Lieblingsbuch im Wägelchen. »Aber Mary wurde nicht in einem Hinterhof von einer psychotischen Bestie in Stücke zerhackt. Man gab ihr immerhin die Gelegenheit, ihre Perücke zurechtzurücken, ihre Gebete zu sprechen und feierlich ihren letzten Gang anzutreten, bevor man ihr den Kopf abschlug. Und der Scharfrichter hatte gute Manieren.«
    Miss Beachams Augen leuchteten auf. »Mit anderen Worten: Sie haben nichts gegen Mord, solange er von Prunk und Pomp begleitet wird.«
    »Stil ist so ungemein wichtig, finden Sie nicht auch?«, erwiderte ich leichthin.
    Lächelnd forderte mich Miss Beacham mit einer Geste auf, den Besucherstuhl näher ans Bett zu ziehen. Ich schob das Wägelchen zur Seite, und nachdem ich Platz genommen hatte, erkundigte ich mich, welche Lektüre sie bevorzugte.
    »Mein Geschmack ähnelt dem Ihren«, antwortete sie. »Eine besondere Vorliebe habe ich für Geschichte, vor allem für die britische. Drücken Sie mir eine Biografie von Benjamin Disraeli in die Hand, und ich bin glücklich.« Sie schloss einen Moment lang die Augen, als müsste sie sich ausruhen. »Ansonsten halte ich das normale Leben für aufregend genug. So viele Fragen, die nach einer Antwort schreien. So viel Verlorenes, das nur darauf wartet, gefunden zu werden.«
    Ich nickte. »Ich verstehe, was Sie meinen. Ich selbst bin in genug Krimis aus dem echten Leben gestolpert. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich nicht das Bedürfnis verspüre, auch noch zwischen Buchdeckeln danach zu suchen.«
    Miss Beachams Augenbrauen wölbten sich.
    »Wie aufregend. Hoffentlich hatten Sie’s in Ihren lebensechten Krimis nicht mit Morden oder psychotischen Bestien zu tun.«
    »Himmel, nein!«, lachte ich. »Allerdings wurde tatsächlich vor ein paar Jahren eine Frau mit einem stumpfen Gegenstand getötet.«
    »Erzählen Sie!«, bat Miss Beacham neugierig.
    Mehr Ermunterung brauchte ich nicht, um mit einer Serie von Anekdoten loszulegen, die bis weit in den Nachmittag hinein gedauert hätten, wäre Schwester Willoughby nicht gekommen, um Miss Beacham zu einer Therapie abzuholen.
    Die Unterbrechung brachte mich durcheinander.
    Miss Beachams Gesellschaft war so angenehm gewesen – ich hatte ganz vergessen, wo ich war, und dass ich mich mit einer todkranken Frau unterhielt.
    Irgendwie hatte ich das Gefühl, eine verwandte Seele entdeckt zu haben, und brannte darauf, sie wieder zu besuchen. Kaum hatte ich das Radcliffe verlassen, lief ich schnurstracks in den Buchladen meiner Freundin und kaufte eine dicke Biografie von Disraeli, die ich Miss Beacham am nächsten Morgen überreichte.
    »Sie brauchen mir nicht noch mehr Bücher zu bringen«, wehrte Miss Beacham ab, während sie die Biografie in ihren dünnen Händen wog. »Ich werde vollauf damit zufrieden sein, diesen Wälzer an den mir noch verbleibenden Tagen zu lesen.«
    Spätestens am dritten Tag war mein Ruf, eine gute Zuhörerin zu sein,
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