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Tallinn-Verschwörung

Tallinn-Verschwörung

Titel: Tallinn-Verschwörung
Autoren: N Marni
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Weihbischofs steckte den Kopf herein.
    »Dein Großonkel lässt dich rufen. Die Eminenzen verlangen nach frischem Espresso!«, rief er im Befehlston und verschwand wieder wie ein Schatten, wenn das Licht ausgeknipst wird.
    Graziella starrte einige Augenblicke auf die halb offen stehende Tür. Ihr war, als hinge dort eine dunkle Wolke, die auf
sie zuwallte und sie zu verschlingen drohte. Verwundert über ihre ungewohnte Ängstlichkeit schüttelte sie den Kopf und stand auf. Sie hätte Nora anweisen können, den Espresso zu machen, aber ihre Nerven waren zu angespannt, um in ihrem Zimmer sitzen bleiben zu können. Daher eilte sie in die Küche und schaltete unter den missbilligenden Blicken der klein gewachsenen Haushälterin die Espressomaschine an.
    »Ich bin sicher, dass Sie den Caffè nicht so hinbekommen wie ich!«
    Obwohl Graziella ihr bereits mehrmals das Du angeboten hatte, war es für Nora undenkbar, ein Mitglied der Familie ihres Herrn anders als ehrerbietig anzusprechen, insbesondere, da die Nichte des Kardinals ihre Vorgesetzte und daher zweifach über sie gestellt war.
    Graziella verstand den Wink und trat von der Maschine zurück. Die Haushälterin nahm die Kaffeedose aus dem Schrank und ging so geschickt zu Werk, dass Graziella nicht zum ersten Mal bewundernd zusah. Sie mochte die warmherzige alte Frau, die nie zu ruhen schien und immer freundlich und hilfsbereit war. Ohne sie wäre es ihr schwergefallen, in dem für drei Leute viel zu großen Haus zu wohnen.
    Ehe Graziella sich versah, hielt sie zwei der winzigen Tassen in der Hand. Diesmal waren es die gewöhnlichen braunen Espressotassen. Das fiel ihr jedoch erst auf, als sie dem Kardinal und seinem Gast diese hinstellte. Während Winter die seine ergriff und mit grässlichen Lauten den Inhalt schlürfte, sah Monteleone seine Nichte missbilligend an.
    »Du hättest vorher die richtigen Tassen holen sollen. So beleidigst du meinen Gast.«
    »Es tut mir leid. Daran habe ich nicht gedacht.« Graziella senkte den Kopf, damit der alte Herr das zornige Aufflammen in ihren Augen nicht sah. Sie empfand diesen Vorwurf als ungerecht, denn schließlich hatte er sie aus seinem Zimmer
vertrieben, um mit Winter über irgendeine obskure Vereinigung sprechen zu können.
    »Es ist kein Wunder, dass Gott in Seiner Größe den Mann über das Weib gesetzt hat!« Winters salbungsvolle Worte veranlassten Graziella beinahe, ihm dem Rest seines Espressos ins Gesicht zu schütten. Sie bezwang sich jedoch, nahm die leeren schwarzen Tassen und verließ den Raum.
    »Du wirst sie mit der Hand spülen und danach wieder dorthin stellen, wo du sie geholt hast«, rief der Kardinal ihr nach.
    Graziella drehte sich auf dem Flur noch einmal um. »Dazu brauche ich den Schlüssel.«
    »Du erhältst ihn, wenn die Tassen sauber sind.«
    Das klang so, als würde der alte Herr ihr nicht mehr vertrauen. Es kränkte sie, denn bis jetzt war sie gut mit ihm ausgekommen, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie auf die meisten seiner Marotten eingegangen war. Nun bereute Graziella ihren Langmut. Wahrscheinlich war es schon ein Fehler gewesen, Ja gesagt zu haben, als der Familienrat sie für die Stellung als Hausdame des Kardinals bestimmt hatte, weil sie diese Aufgabe mit ihrem Studium in Rom verbinden konnte. Zwar benötigte sie unter diesen Umständen mehr Zeit für ihre Ausbildung als ihre Kommilitonen, doch bei einer Monteleone war es nicht wichtig, ob sie ihren Magister oder Doktor ein oder zwei Semester früher oder später schaffte.
    Ich hätte den Großonkel dazu bringen müssen, mich wieder wegzuschicken, schalt Graziella sich. Stattdessen hatte sie sich die Ordenstracht einer Malteserin aufnötigen lassen, da der alte Herr keine zivile Kleidung um sich dulden wollte. Dabei hatte sie nicht das geringste Interesse, sich jemals einem Orden oder einer ähnlichen Vereinigung anzuschließen.
    Auf dem Weg in die Küche kam Graziella an einem der
Flurspiegel vorbei und blickte hinein. Selbst die strenge, schwarze Tracht der Malteserinnen konnte ihre weiblichen Formen nicht verbergen, und auf ihrem ebenmäßigen Gesicht war kein Fünkchen Demut zu erkennen. Der Ausdruck von Zorn in ihren Augen wurde durch eine vorwitzige Strähne ihres dunkelblonden Haares verstärkt, die sich unter dem Häubchen hervorgestohlen hatte. Graziella wollte sie wieder darunter stecken, unterließ es in einem Anfall von Trotz jedoch. Sie war keine Ordensfrau und trug das Kleid mit dem weißen, achtspitzigen Kreuz des
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