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Tal der Träume

Tal der Träume

Titel: Tal der Träume
Autoren: Patricia Shaw
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suchten, zerrte die Stille dennoch an ihren Nerven.
    Und wo war ihr Vater? Er hätte schon gestern zurückkommen sollen. Die Trockenzeit war beinahe vorüber. Es war, als könne die unerträgliche Hitze jeden Tag explodieren, doch das war natürlich nicht der Fall, die Regenzeit, die Wohltat der Nässe, stand bevor.
    Lucy schauderte. Sie hasste diese Jahreszeit, das Warten auf den Donner, das Warten auf den Monsunregen, der die Bäche in reißende Flüsse verwandelte, die Flüsse in überflutete Ebenen. Und der sie von der Außenwelt abschnitt, wenn sie nicht rechtzeitig aufbrachen.
    Wo also steckte Zack?, fragte sie sich wütend. Er hatte versprochen, sie würden allerspätestens heute nach Darwin aufbrechen, und noch immer war keine Spur von ihm zu sehen. Das Warten war unerträglich. Jeder wusste, dass dieses Klima qualvoll war, dass es alle verrückt machte, die sich nach einer Ruhepause von der langen Trockenzeit sehnten, die nach dem Geruch, dem Geräusch, der willkommenen Flut des ersten Regens lechzten. Die dicken Tropfen, die den Staub aufwirbelten, die Tiere, die sich die Lefzen leckten, die Menschen, die mit ausgebreiteten Armen hinausliefen und endlich lächelten. Aber es bedeutete keinen Trost, dass jeder um die Verrücktheit dieser Zeit wusste. Das Wissen allein brachte keine Erlösung. Die Menschen neigten zum Jähzorn. Männer brachen Schlägereien vom Zaun. Die Leute wurden schnippisch. Schmollten. Fehler passierten. Tore blieben offen. Essen verbrannte. Eine Niederlage beim Kartenspiel, ein zerbrochener Teller, jede Kleinigkeit konnte einen Streit auslösen. Sogar das Vieh war störrisch.
    Lucy hatte sich schon oft gefragt, ob das Vieh drohende Gefahren erahnte. Es musste weit weg von den ausgetrockneten Flussbetten und ruhigen Wasserlöchern in die Sicherheit der höher gelegenen Gebiete getrieben werden, bevor die Regenmassen fielen, doch die Aufgabe war schwierig. Zu viele Tiere wurden störrisch, wehrten sich gegen die Eindringlinge, gegen die Peitschen und Flüche der Reiter. Tausende Stück Vieh wurden zusammengetrieben und umgelenkt, und Lucy wünschte, sie könnte dabei sein, helfen. Alles war besser, als im Haus zu sitzen, doch ihr Vater hatte ihr verboten, um diese Jahreszeit am Viehtrieb teilzunehmen.
    »Zu gefährlich«, hatte er gesagt. »Das ist nichts für Mädchen.«
    Ihre Mutter war der gleichen Meinung. Allerdings missbilligte Sibell Hamilton es ohnehin, dass Lucy ritt und mit den Männern arbeitete, da es angeblich nicht damenhaft war. Sie vergaß, dass sie früher einmal selbst mit dem Vieh gearbeitet hatte, wenn Hilfe nötig war. Zacks Schwägerin Maudie, die Besitzerin von Corella Downs, fühlte sich auch jetzt noch auf dem Pferderücken wohler als im Haus, dabei war sie schon fünfzig. Ein zähes altes Mädchen, dachte Lucy grinsend, im Busch geboren und stolz darauf, zu den »Pionieren des Territoriums« zu gehören.
    Lucys Mutter und Tante waren wie Feuer und Wasser. Die in England geborene Sibell missbilligte Maudie Hamiltons raue Manieren, und sie schienen niemals einer Meinung zu sein, obwohl Zack die Ansicht vertrat, dass sich hinter all den Sticheleien echte Freundschaft verbarg. Jetzt, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, lebten noch immer nur wenige weiße Frauen im Outback, was in Sibells Augen umso mehr dafür sprach, sich hier zu behaupten und zu beweisen, dass ihr isoliertes Leben keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen sei. Sibell empfand übertriebenen Stolz auf ihre hausfraulichen Fähigkeiten. Das Wohnhaus von Black Wattle war kein Herrensitz, sondern ein weiträumiges Holzgebäude mit hohen Decken, breiten Veranden und einem rot gestrichenen Eisendach, das meilenweit zu sehen war, doch es wirkte gemütlich und war gut ausgestattet. Mit Hilfe ihres chinesischen Kochs und der schwarzen Hausmädchen bewirtete Sibell ihre wenigen Besucher gern im großen Stil. Lucy war das recht, doch sie konnte nicht akzeptieren, dass es ausgerechnet ihre Aufgabe sein sollte, durchs Haus zu schweben und die Pflichten und gesellschaftlichen Fähigkeiten zu erlernen, die einer jungen Dame zukamen. Sie hasste das Nähen, konnte weder malen noch Klavier spielen und las lieber romantische Romane als die »besseren« Bücher, die ihre Mutter in die Regale stellte. Aber sie liebte die Station, das Leben hier draußen gefiel ihr.
    Lucy war hoch gewachsen, mit langem, blondem Haar, ebenmäßigen Zügen und einem schlanken, athletischen Körper. Die Leute nannten sie gut aussehend,
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