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Tal der Träume

Tal der Träume

Titel: Tal der Träume
Autoren: Patricia Shaw
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willst. Wird dir die Flausen schon austreiben.«
    Warum war es so schwer, es zu erklären? Vielleicht, weil sie es selbst nicht genau in Worte fassen konnte. Manchmal, wenn sie in weniger guter Stimmung war, dachte Sibell, sie suche vielleicht nach etwas, das es gar nicht gab, doch sie wollte es unbedingt herausfinden. Vielleicht sehnte sie sich auch nach ihrer Jugend, nach dem jungen Mädchen, das in einem stillen englischen Dorf aufgewachsen war.
    Sie seufzte. Jenes Leben war zu einem abrupten Ende gekommen, als ihre Eltern die fatale Entscheidung trafen, nach Australien auszuwandern. Sie war erst neunzehn gewesen, als sie beim Schiffbruch ihre geliebten Eltern verlor, und war an einer verlassenen Küste nördlich von Perth gestrandet, mit einem fremden Mann als einziger Gesellschaft. Dann die vermeintliche Rettung durch eine Horde Aborigines, deren Anführer ein bösartiger Mensch war, der sich mehr für ein Lösegeld als für ihr Wohlergehen interessierte. Nur mit Hilfe eines jungen Aborigine-Farmhelfers namens Jimmy Moon war ihnen die Flucht aus dem schmutzigen Lager geglückt.
    Jimmy Moon, dachte sie traurig. Er war ihr Freund gewesen. Auch er kam einige Jahre darauf in den Norden, nachdem er in Schwierigkeiten geraten war. Es tat noch immer weh, an ihn zu denken.
    Sibell selbst war in Perth gelandet und hatte bei schrecklichen Leuten gelebt, bis sie Zacks Mutter, eine wunderbare Frau, kennen lernte. Mrs. Hamilton war in die Stadt gekommen, um einen Spezialisten aufzusuchen, weil sich ihr Augenlicht zusehends verschlechterte. Da sie jemanden für die Buchhaltung benötigte, der ihr bei der Verwaltung ihrer großen Viehstation Black Wattle half, bot sie Sibell die Stelle an.
    Sibell ertappte sich bei einem Lächeln. »Ich hatte ja keine Ahnung, worauf ich mich da einließ!«, erinnerte sie sich. »Was für ein Schock. Wir brauchten beinahe eine Woche für den Weg von Darwin. Zu Pferd! Damals gab es noch keine Eisenbahn. Es war noch schlimmer als der Schiffbruch. Ich dachte, ich sei ans Ende der Welt gelangt. Aber Mrs. Hamilton hatte wohl noch einen anderen Grund, mich auf ihre Station einzuladen. Ein Jahr später heiratete ich ihren Sohn.«
    Sie hatte es nie bereut. Manchmal hatte sie zu kämpfen gehabt, gegen die Elemente, die Entfernungen, um den Erhalt und die Ernährung der großen Viehherden. Und dann der furchtbare Verlust ihres kleines Sohnes. So viele Dinge, die sie überstanden hatte, und ihr war die Station ans Herz gewachsen. Doch nun war es Zeit zu gehen. Als sie zum Mittagessen kam, war Lucy noch immer wütend.
    »Bist du wieder bei Sinnen?«
    »Können wir ohne diese Grobheiten darüber sprechen?«
    »Na schön. Sag mir eins. Was hast du vorhin gemeint, als du von Gewalt sprachst? Ich weiß, mein Onkel wurde von Schwarzen getötet, bevor ich zur Welt kam, aber diese Art von Problemen gibt es heute kaum noch. Es gibt zwar Unfälle mit den Männern und Pferden, aber das kann überall passieren. Wie kommst du darauf, hier auf Black Wattle gäbe es Gewalt?«
    »Es tut mir Leid. Ich habe das falsche Wort gebraucht. Vergiss es.«
    Lucy, die hier geboren war, würde nicht verstehen, dass Sibell auch die weiten Entfernungen schwer zu schaffen machten. Ebenso das Wetter. Die Hitze, die Stürme. Die knochentrockenen Flussbetten. Die Einsamkeit. Der nächste Nachbar war drei Tage weit entfernt, wenn man ritt. Mit dem Wagen dauerte die Reise noch länger.
    »Es ist eher das, was hier fehlt«, sagte sie. »Vororte. Ich möchte gern in einem Vorort leben.«
    »Unsinn. Du würdest dich nach einer Woche zu Tode langweilen.«
    »Das glaube ich nicht. Ich fühle mich hier so verloren. Ich weiß auch nicht, warum, aber mein Dasein hier deprimiert mich.«
    »Du bist hier zu Hause! Was in aller Welt deprimiert dich? Mutter, ich glaube wirklich, du langweilst dich bloß. Wenn wir erst in Darwin sind, fühlst du dich besser. Nach den Sommermonaten in der Stadt freust du dich immer auf zu Hause.«
    »Mag sein«, antwortete Sibell, um das Thema zu beenden. »Wir werden sehen.«
    Die Tränen brannten ihr in den Augen, und sie drehte sich schnell zur Seite, um sie zu verbergen, aber es war zu spät. Lucy war blitzschnell bei ihr.
    »Herrgott, Mutter, was ist? Geht es dir nicht gut? Ist es das?«
    Sibell wünschte so sehr, sie könnte einfach sagen: »Ja, ich bin krank. Gib mir die Medizin. Morgen früh geht es mir wieder besser.« Das hätte sie den Anfällen von Kummer vorgezogen, die sie immer wieder überfielen, aber
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