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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris
Autoren: Henri Sanson
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nachsichtiger mit jenem Helden des Mordes, der Fälschung und des Diebstahls.
    Dennoch wurde Lacenaires Hoffnung getäuscht, er konnte seine skandalöse Autobiographie nicht beendigen, und um die traurige Spekulation des Verlegers zu retten, mußte ein Schriftsteller sich dazu verstehen, die letzten Seiten dieses unglücklichen Buches zu schreiben.
    Man findet darin genau verzeichnet, wie sich Lacenaire während der Zeit, die er in Bicètre und in der Conciergerie verlebte, das heißt, seit seiner Appellation bis zur Hinrichtung, betrug.
    Dieser große Mann des Assisenhofes hatte seinen Dangeau, seinen Lebensgeschichtschreiber, welcher Tag für Tag seine geringsten Worte und unbedeutendsten Handlungen verzeichnete; er fand auch seitdem seinen Plutarch an einem obskuren Journalisten, welcher sich darin gefiel, in einer Reihe von Artikeln, die später in einem kleinen Bande herausgegeben wurden, dieses Epos des Meuchelmordes zu veröffentlichen.
    Wir werden uns hier nicht auf die Einzelheiten einlassen, weder auf die nächtlich ausgeheckten Poesien, womit Lacenaire seine letzten Mußestunden ausfüllte, noch auf die Mahlzeit am Weihnachtsabend, welche zum letztenmal Lacenaire und Avril an demselben Tische vereinigte. Den letzteren hatte er zweimal gemordet: das erstemal, indem er den Einfluß, den ihm sein überlegener Geist verlieh, mißbrauchte, jenen Unglücklichen zum Morde zu verleiten; das zweitemal, indem er ihn durch seine Geständnisse der grausamsten Strenge des Gesetzes überlieferte.
    Wir übergehen die theatralische Abschiedsszene, die er beim Abgange aus der Conciergerie und Bicètre spielte, mit Stillschweigen; ebenso die skeptische Haltung, zu welcher er sich zwang, während Avril mit der Sammlung eines reuevollen Christen die Sterbegebete anhörte, die man in der Gefängniskapelle für sie las. Wir erwarteten Lacenaire in der Kanzlei, wo man die Zurüstung der Verurteilten vornehmen sollte.
    Er erschien daselbst, die Zigarre im Munde, mit einer Sicherheit, die nicht frei von Verstellung war. Nachdem er sich auf den Schemel gesetzt hatte, richtete er ganz unbefangen das Wort an einige Personen. Einer der Gehilfen schnitt ihm das Haar ab, und als dies geschehen war, verlangte er dieselbe Kleidung, die er im Assisenhofe getragen hatte. Man gab sie ihm; es war ein Überrock, den er als Mantel über die Schulter warf.
    Darauf kam Avril an die Reihe. Dieser prahlte nicht mit seiner Festigkeit, wie Lacenaire, zeigte aber nichtsdestoweniger eine außerordentliche Ruhe. Der Tag begann erst zu grauen, und da es im Monat Januar war, wo die Morgen immer kalt sind, so konnte Avril einen leichten Schauer nicht unterdrücken. Ohne es zu wissen, parodierte er das berühmte Wort Bayles.
    »Teufel,« sagte er, »ich zittere vor Kälte; man könnte glauben, ich fürchte mich.«
    Er bat um ein Gläschen Branntwein, um sich zu erwärmen; ein Aufseher brachte es ihm.
    »Dank, Alter!« sagte er, leerte es mit einem Zuge und schnalzte mit der Zunge.
    Nachdem man ihm und Lacenaire Hände und Füße gebunden hatte, nahm er von den Anwesenden mit den in treuherzigem Tone ausgesprochenen Worten Abschied:
    »Lebt wohl, ihr alle!«
    Man ging ab. Der Zug dauerte lange, denn die Wege waren sehr schlecht. Der Abbé Montès benutzte die Zeit und gab sich alle erdenkliche Mühe, das widerspenstige Gemüt Lacenaires zu rühren; diese Versuche scheiterten aber an dem Eise dieses wahren oder vorgeblichen Skeptizismus.
    Es war beinahe halb neun Uhr morgens, als wir auf dem Platze ankamen. Die Verurteilten stiegen zuerst ab, dann der Beichtiger und wir.
    Avril, welcher zuerst hingerichtet werden sollte, umarmte den würdigen Priester, der ihm beistand, und stieg dann festen Schrittes die Stufen zum Schafott hinauf. Auf der Plattform wendete er sich an Lacenaire und rief ihm mit starker und sicherer Stimme zu:
    »Lebe wohl, Lacenaire! Lebe wohl, mein Kamerad!«
    Ein unmerkliches Lächeln glitt über das bleiche Antlitz des letzteren, welcher den Kopf vorgestreckt hatte, um den des Unglücklichen, den er ins Verderben gestürzt, fallen zu sehen. Selbst bei dem Geräusch des Fallbeils erbebte er nicht. Ohne Hilfe stieg er die Stufen, die zum Tode führten, hinauf und warf einen letzten Blick auf die Menge, welche er vielleicht zahlreicher erwartet hatte. Wir glaubten, er würde sprechen, er legte sich aber selber auf das von dem Blute Avrils triefende Brett; der Kopf des Schuldigen rollte in den Korb.
    Einige Tagesblätter jener Zeit haben
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