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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923
Autoren: Franz Kafka
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um mein Letztes handelt.
    Auf dem Josefsplatz fuhr ein großes Reiseautomobil mit einer fest an einander sitzenden Familie an mir vorüber. Hinter dem Automobil gieng mir mit dem Benzingeruch ein Luftzug von Paris über das Gesicht.
    Beim Diktieren einer größern Anzeige an eine
    Bezirkshauptmannschaft im Bureau. Im Schluß, der sich aufschwingen sollte, blieb ich stecken und konnte nichts als das Maschinenfräulein Kaiser ansehn, die nach ihrer Gewohnheit
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    besonders lebhaft wurde, ihren Sessel rückte hustete, auf dem Tisch herumtipte und so das ganze Zimmer auf mein Unglück aufmerksam machte. Der gesuchte Einfall bekommt jetzt auch den Wert, daß er sie ruhig machen wird, und läßt sich je wertvoller er wird desto schwerer finden. Endlich habe ich das Wort "brandmarken" und den dazu gehörigen Satz, halte alles aber noch im Mund mit einem Ekel und Schamgefühl wie wenn es rohes Fleisch, aus mir geschnittenes Fleisch wäre (solche Mühe hat es mich gekostet). Endlich sage ich es, behalte aber den großen Schrecken, daß zu einer dichterischen Arbeit alles in mir bereit ist und eine solche Arbeit eine himmlische Auflösung und ein wirkliches Lebendigwerden für mich wäre, während ich hier im Bureau um eines so elenden Aktenstückes willen einen solchen Glückes fähigen Körper um ein Stück seines Fleisches berauben muß
    4. (Oktober 1911) Ich bin unruhig und giftig. Gestern vor dem Einschlafen hatte ich links oben im Kopf ein flackerndes kühles Flämmchen. Über meinem linken Auge hat sich eine Spannung schon eingebürgert. Denke ich daran so scheint es mir, daß ich es im Bureau auch dann nicht aushalten könnte, wenn man mir sagte, daß ich in einem Monat frei sein werde. Und doch tue ich im Bureau meist meine Pflicht, bin recht ruhig, wenn ich der Zufriedenheit meines Chefs sicher sein kann und empfinde meinen Zustand nicht als einen schrecklichen. Gestern abend habe ich mich übrigens mit Absicht dumpf gemacht, war spazieren, habe Dickens gelesen, war dann etwas gesünder und hatte die Kraft zu der Traurigkeit verloren, die ich als berechtigt ansah, wenn sie mir auch etwas in die Ferne gerückt schien, wovon ich mir einen bessern Schlaf erhoffte. Er war auch ein wenig tiefer, aber nicht genug und oft unterbrochen. Ich sagte mir zum Trost, daß ich zwar die große Bewegung, die in mir gewesen war, wieder unterdrückt hatte, daß ich mich aber nicht aus der Hand geben wollte, wie früher immer nach solchen Zeiten, sondern daß ich mir auch der Nachwehen jener
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    Bewegung genau bewußt bleiben wolle, was ich früher nie getan hatte. Vielleicht könnte ich so eine verborgene Standhaftigkeit in mir finden.
    Gegen Abend im Dunkel in meinem Zimmer auf dem
    Kanapee. Warum braucht man längere Zeit um eine Farbe zu erkennen wird dann aber nach der entscheidenden Biegung des Verständnisses rasch immer überzeugter von der Farbe. Wirkt auf die Glastür von außenher das Licht des Vorzimmers und jenes der Küche gleichzeitig, so gießt sich grünliches oder besser um den sichern Eindruck nicht zu entwerten, grünes Licht die Scheiben fast ganz hinab. Wird das Licht im Vorzimmer abgedreht und bleibt nur das Küchenlicht, so wird die der Küche nähere Scheibe tiefblau, die andere weißlich blau so weißlich, daß sich die ganze Zeichnung auf dem Mattglas (stilisierte Mohnköpfe, Ranken, verschiedene Vierecke und Blätter) auflöst. – Die von dem elektrischen Licht auf der Straße und Brücke unten auf die Wände und die Decke geworfenen Lichter und Schatten sind ungeordnet zum Teil verdorben einander überdeckend und schwer zu überprüfen. Es wurde eben bei der Aufstellung der elektrischen Bogenlampen unten und bei der Einrichtung dieses Zimmers keine hausfraumäßige Rücksicht darauf genommen, wie mein Zimmer zu dieser Stunde vom Kanapee aus ohne eigene Zimmerbeleuchtung aussehn wird. –
    Der von der unten fahrenden Elektrischen an die Decke emporgeworfene Glanz fährt weißlich, schleierhaft und mechanisch stockend die eine Wand und Decke, in der Kante gebrochen, entlang. – Der Globus steht im ersten frischen vollen Widerschein der Straßenbeleuchtung auf dem oben grünlich rein überleuchteten Wäschekasten, hat einen Glanzpunkt auf seiner Rundung und ein Aussehn, als sei ihm der Schein doch zu stark, trotzdem das Licht an seiner Glätte vorüberfährt und ihn eher bräunlich, lederapfelartig zurückläßt. – Das Licht aus dem Vorzimmer bringt einen großflächigen Glanz an der Wand über dem
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