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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
Autoren: Jeffrey Thomas
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Lyre werden wird. Ich hoffe, er wird hinterher finden, dass es die Sache wert war.
    Ich habe ihm mein schmales Bett überlassen. Aber das ist schon in Ordnung: Dann werde ich mich eben doch mit in Charas Bett quetschen müssen. Zur Hölle damit, was die anderen denken.

Fünfundachtzigster Tag
    Trotz Allatous einprogrammierter Koordinaten waren wir, wie sich herausstellte, für ein paar Tage vom Kurs abgekommen. Sie glaubt, es könne vielleicht ein Problem durch den Kampf gegeben haben, der im Kontrollraum stattgefunden hat: eine festsitzende Klappe, ein versehentlich umgelegter Hebel, ein blockiertes Zahnrad. Nun scheint jedoch wieder alles in Ordnung und wir auf dem richtigen Weg zu sein … auch wenn wir den Großteil des heutigen Tages damit verbringen mussten, dieselbe Schienenstrecke zurückfahren, um in einen anderen Tunnel abzubiegen, der von unserem abzweigte.
    Wir müssen uns allmählich den Ausläufern der kälteren Regionen nähern, denn wir spüren die kühle Luft, die durch die zerbrochenen Fenster von draußen zu uns hereindringt. Ich hoffe, die Bewohner von Gehenna und Pluto haben sich noch nicht so sehr an die Kälte gewöhnt oder angepasst, dass sie sich nicht mehr in Dampfbädern oder am Feuer wärmen müssen!
    Lyre sieht wieder wie ein Mensch aus. Ein Mensch, der von ganz neuen – und blinden – Medizinstudenten seziert wurde, aber trotzdem wie ein Mensch … auch wenn er noch zu unvollständig ist und zu große Schmerzen hat, um zu sprechen. Trotzdem sitze ich oft auf seiner Bettkante und unterhalte mich mit ihm – so haben wir beide Gesellschaft. Ich habe versucht, seine Hand zu halten, aber das verursachte ihm aufgrund seiner freiliegenden Nerven ziemliche Schmerzen und zerstörte kleine Blutgefäße. Meine Handfläche wurden dabei ganz nass. Armer Kerl. Wir Schriftsteller leiden wirklich für unsere Kunst.
    Ich erzählte ihm den Plot der Geschichte, die ich immer hatte schreiben wollen. »Wehe, du klaust meine Ideen«, warnte ich ihn. Ich werde sie hier aber nicht zusammenfassen – ich will ihre Magie ja nicht schon im Voraus zerstören, wenn Sie verstehen, was ich meine. Manchmal kann man sich einen Roman regelrecht aus dem eigenen Geist reden oder denken, noch bevor man überhaupt das erste Wort geschrieben hat.
    Ob dieser Roman, der in der Welt der Sterblichen spielt, mit deren sterblichen Sorgen und nicht dem geringsten Anzeichen für ein Leben nach dem Tod, letztlich auch genauso aussehen wird, wie ich ihn geplant habe … oder ob auch einige der Dinge, die ich inzwischen weiß, in ihn einfließen werden … das kann ich nicht sagen. Wir werden es herausfinden, wenn ich so weit bin. Ich glaube, ich werde diesen Roman als Nächstes schreiben, statt eines zweiten Bandes dieses Tagebuchs. Ich kann meine Memoiren später immer noch nachholen. Immerhin wird es sich dabei ja um eine Endlosreihe handeln. Ob meine Leser hier in der Hölle sich von meinen Erfahrungen im Jenseits oder von erfundenen Geschichten aus der Welt, die sie einst kannten, besser unterhalten fühlen würden – oder sich besser darin wiederfinden können –, kann ich genauso wenig sagen. Aber ich kann es kaum erwarten, anzufangen. Mit Lyre darüber zu sprechen, hat meine alte Begeisterung neu entfacht – aber ohne diese lähmende, fatalistische Verzweiflung, die mich damals zum Gewehr anstatt zur Feder greifen ließ. Oder vielmehr zur Tastatur.
    Ich möchte auch Lyre fragen, was er schreiben möchte, wenn er endlich wieder heil ist. Vielleicht können wir ja sogar gemeinsam an einem Projekt arbeiten …

Siebenundachtzigster Tag. Letzter Eintrag.
    Wir haben Gehenna erreicht, und ungefähr die Hälfte unserer Mannschaft hat sich dazu entschieden, hierzubleiben. Wir anderen werden zu Fuß oder mit Kutschen, die wir hier kaufen wollen und die von bulligen, haarigen Tieren gezogen werden, die unter all ihren muffigen Zotteln überhaupt keine Köpfe zu haben scheinen, nach Pluto weiterreisen.
    Der Himmel ist hier ebenso weiß und nichtssagend wie der Boden. Man hat mir gesagt, er sei eine solide Eisdecke, von der hin und wieder Brocken abbrechen und krachend auf die Stadt stürzen. Gehenna ist viel kleiner als Oblivion, und die höchsten Gebäude haben nur sechs oder sieben Stockwerke. Die meisten Häuser sind schwarz, aber ihre Mauern sind mit einer frostigen Schicht aus vom Wind verwehten Schneekristallen bedeckt und auf ihren Dächern liegt eine dicke, solide Schneeschicht.
    Und in Pluto, wo der Großteil der Gebäude
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