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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der
Autoren: Vladimir Sorokin
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Marmor, geräumiges Tauchbecken, bequeme Liegestühle.
    Aus dem Schwitzraum duftet es schon nach Hefe – der Alte liebt Aufgüsse mit Kwass.
    Und schon kommt sein Kommando: »Rechter Flügel!«
    In seiner Banja hat der Alte uneingeschränkt das Sagen. Wir streben in die Schwitzkammer. Dort wartet Meister Iwan in Filzkappe und Handschuhen, mit zwei Besen in Händen – einer aus Birken-, der andere aus Eichenruten. Und es beginnt der Ringelreigen: Wir strecken uns auf den Bänken aus, der taube Iwan gießt auf und geht sodann ächzend daran, die Opritschniki mit seinen Besen abzubläuen, zwischendurch gibt er – auffällig lauthals – seine Schnurren und Possen zum Besten.
    Ich liege mit geschlossenen Augen da. Atme den Dampf, harre ergeben meines Schicksals. Und muss nicht lange harren: Fitsch!, pitsch!, zischt es mir brennend über Rücken, Arsch und Beine. Iwan hat eine sagenhafte Ausdauer im Saunascharmützel – bevor ein Rücken nicht in helllichten Flammen steht, gibt er nicht auf. Doch übertreiben sollte man es damit hier beim Alten auch nicht, es warten ja noch andere Freuden. Bei deren Vorstellung mir selbst hier in der Schwitzkammer ein kalter Schauer durch die Lenden rieselt.
    Iwan peitscht sich eins und schwadroniert dabei:
     
    Erbsendreschen, Bohnenbrechen
    Hau’n und Stechen, Feinde schwächen!
    Europa trommeln wir den Marsch
    Auf des Opritschniks blankem Arsch!
     
    Oder:
     
    Mit Pfefferkraut und Fliegendreck
    Kriegt der Opritschnikhintern Zunder.
    Den Buckel bohnern wir mit Speck,
    Und Europa rutscht ihn runter!
     
    Iwans Sprüche sind alt, er selber ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Inzwischen ist in Europa kaum noch wer, der Russland den Buckel runterrutschen könnte. Geeignete Kandidaten sind jenseits der Westmauer nicht mehr zu finden. Europa, Agenors entführtes Töchterlein, hat den Löffel abgegeben, dort krauchen nur noch ein paar arabische Cyberpunks durch die Ruinen, und denen geht Europa nun wirklich am Arsch vorbei …
    Eichenlaub raschelt und zischelt über meinem Ohr, Birkenlaub kitzelt die Fußsohlen: »Fertig!«
    Ich krieche von der Pritsche, um sogleich in Sufars zupackende Hände zu geraten: Jetzt ist er an der Reihe. Packt mich, huckt mich auf wie einen Mehlsack, schleppt mich aus der Kammer. Und wirft mich ab aus vollem Lauf – ins kalte Becken. Puh, das zieht rein! … Beim Alten ist wieder mal alles eins a: der Dampf brühheiß und das Wasser eisig. Es greift dir an die Knochen. Ein paar Schwimmzüge, und ich komme zu mir. Aber Sufar gönnt keine Atempause – zerrt mich hoch, schmeißt mich auf die Pritsche, springt mir auf den Rücken und fängt an, auf mir herumzusteigen, dass die Wirbel knacken. Tatarische Füße gehen auf einem russischen Rücken spazieren. Und zwar geschickt – nichts geht kaputt dabei, nichts wird gequetscht. Wie gut, dass unser Gossudar es vermocht hat, all die Völker Russlands unter seinen mächtigen Fittichen zu vereinen: Tataren und Mordwinen und … Baschkiren und … Juden und … Tschetschenen und … Inguscheten und … Tscherkessen und … Tscheremissen und … Ewenken und … Jakuten und … Karelier und … Korjaken und … Osseten und … Tschuwaschen und … Kalmücken und … Burjaten und … Udmurten und … die Tschuktschen, diese Unschuldslämmer, und … noch so viele, viele andere …
    Sufar schwappt Wasser über mich und reicht mich an Zao weiter. Und schon sitze ich, liege halb in der Waschbütte, schaue an die hübsch bemalte Decke und lasse mich vom Chinesen waschen. Seine flinken, weichen Hände gleiten über meinen Leib, reiben wohlriechenden Schaum in die Kopfhaut, gießen Duftöle über den Bauch, lassen die Finger über die Schenkel wandern, reiben die Waden. Keiner versteht eine Waschung so vorzunehmen wie der Chinese. Dort wissen sie mit dem menschlichen Körper umzugehen. Über mir an der Decke ist der Garten Eden dargestellt, mit Vögeln und allerlei Getier, das sämtlich Gottes Stimme hören kann. Der Mensch kommt in diesem Garten nicht vor – er ist noch nicht erschaffen. Das Paradies zu betrachten und dabei gewaschen zu werden ist angenehm. Etwas Langvergessnes regt sich in deiner Seele, unter dem Speck der Zeit …
    Zao spritzt Wasser auf mich aus einem Lindenholzkübel und hilft mir aufzustehen. Nach so einer chinesischen Waschung ist man rüstig und bereit. Ich gehe zurück in den Hauptraum. Hier finden sich allmählich die wieder ein, die das russisch-tatarisch-chinesische Fließband hinter sich haben.
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