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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung
Autoren: Liad Shoham
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drei Wochen zurück und dann bekomme ich endlich mein Auto zurück, so hoffe ich jedenfalls. Zunächst wollte er nur für zehn Tage bleiben, aber dann hat er seinen Rückflug immer wieder aufgeschoben. Meiner Mutter gefällt das, aber ich werde ohne mein Auto verrückt …« Oh, jetzt plappere ich drauflos wie ein kleines Mädchen, schoss es ihr durch den Kopf, und sie hielt den Mund.
    »Wenn du dich so sehr nach deinem Auto sehnst, wie wäre es dann mit Kartsport?«, fragte er.
    Verlegen gab sie zu, dass sie keine Ahnung hatte, was das überhaupt war.
    »Autorennen«, erklärte er.
    »Selber fahren oder nur zuschauen?«, fragte sie.
    »Selber fahren.« Er lächelte sie an, als würde er in ihrer Mimik Zustimmung suchen.
    »Klingt super«, lächelte sie zurück.
    Keine Frage, Kartsport fiel nicht unter ihre fünf Lieblingsbeschäftigungen. Ganz gewiss nicht. Sie hasste es, zu rasen, meist kroch sie mit ihrem Auto die Straße entlang. Ihre Leidenschaft für Helme hielt sich ebenfalls in Grenzen. Doch alles in allem war sie danach in bester Laune. Er hatte sich etwas einfallen lassen, etwas Originelles, das war einfach süß. Gut möglich, dass er alle Dates hierherschleppte. Davon war sogar auszugehen. (Hatte der Kerl an der Kasse ihm nicht zugezwinkert, als er sie gesehen hatte? Konnte auch sein, dass die Fantasie mit ihr durchging.) Und wenn? Beim Verabreden, wo so viele starre Regeln herrschten, war jede Ausnahme von der Routine begrüßenswert.
    * * *
    Doch dann hatte sie alles vermasselt. Statt den Abend nett zu beenden, wie es angebracht gewesen wäre, hatte sie sich davongemacht: »Lass mich hier am Supermarkt raus, ich muss noch was einkaufen.«
    Er hatte vor dem Supermarkt gehalten. Er schien nicht weniger enttäuscht von ihr zu sein als sie selbst.
    Hinter ihnen hupte jemand, weil sie hielten. Es war halb zwölf in der Nacht, doch der Verkehr hatte kaum merklich nachgelassen. »Du solltest besser aussteigen«, sagte er leise und deutete mit einer Kopfbewegung auf das Auto hinter ihm.
    Ihr blieb nicht viel Zeit. Sie musste etwas sagen oder unternehmen, das die Situation retten würde. An seiner Stelle würde sie denken, dass sie ihn abwimmeln wollte.
    »Ich habe den Abend sehr genossen«, sagte sie und lächelte ihn an.
    Er erwiderte nichts.
    Sie holte tief Luft, beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss.
    * * *
    Der Weg zu ihrem Wohnhaus lag wie immer im Dunkeln. Brenner, der Nachbar über ihr, bestand darauf, das Licht auszuschalten. Unzählige Male hatte sie ihn darum gebeten, es nicht zu tun, weil sie sich hier nachts fürchtete, vor allem in letzter Zeit, nach den Vorfällen im Viertel. Doch er ließ sich nicht davon abbringen. Dieser achtzigjährige Geizkragen. Er scherte sich nicht darum, ob Frauen ihres Alters Angst hatten.
    Doch heute machte es ihr nichts aus. Sie war in ausgezeichneter Stimmung. Vor einigen Minuten hatte sie eine SMS von Assaf bekommen, dass es auch ihm Spaß gemacht habe. Er hatte also auch Lust auf mehr.
    Sie ging langsam. Hielt ihre Einkaufstüte fest. Vielleicht war es der Anfang von etwas Gutem, ging es ihr durch den Kopf.
    Sie erstarrte. Da stand jemand neben der Eingangstür. Er war zwar halb verdeckt, aber sie konnte ihn sehen – er verbarg sich dort im Finstern. Sollte sie zurückgehen? Die Flucht antreten? Sie griff in ihre Tasche und nahm das Pfefferspray fest in die Hand.
    »Hallo«, vernahm sie auf einmal eine Stimme. Hatte sie die heute nicht schon einmal gehört?
    Für einen Moment spürte sie Erleichterung, als er ins fahle Licht der Straßenlaterne trat und sie sein Gesicht sah.
    »Was tun Sie hier?«, fragte sie energisch. »Sie haben mich erschreckt.«
    »Ich habe auf Sie gewartet«, sagte er und kam auf sie zu.
    »Warum?«
    Er erwiderte nichts.
    Die Erleichterung, die sie zunächst gespürt hatte, war wie weggeblasen. Hier war etwas faul. Wieso wartete er hier auf sie?
    »Sie waren heute alles andere als nett zu mir«, sagte er, und sie nahm seinen Mundgeruch wahr.
    Sie machte einen Schritt nach hinten, doch er war schneller als sie und packte sie am Arm.
    Sie versuchte sich loszumachen, doch es gelang ihr nicht.
    »Du hast mich gedemütigt. Ich habe mich im Guten an dich gewandt, und du hast mich gedemütigt.« Er packte fester zu. Von seinem Schweißgeruch wurde ihr übel.
    Sie rang mit ihm, doch er zog sie an sich.
    »Was soll das?«, fragte sie, und ihre Stimme bebte.
    Jetzt bemerkte sie, dass er in der anderen Hand ein großes Messer hielt.
    »Ich gebe
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