Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin
Autoren: Allmen und die Libellen
Vom Netzwerk:
einem einzigen Umzonungsbeschluss gelegt, an dem er, wie es damals
im Dorf hieß, nicht unbeteiligt gewesen sei. Der Schwarzacker, das Herzstück seines
Landwirtschaftsbetriebs, war der Bauzone einverleibt worden und lag kurze Zeit
später dank der Eröffnung eines Autobahnteilstücks plötzlich im Einzugsgebiet
der Stadt. Was den Grundstückspreis des Schwarzackers vervielfachte. Allmens
Vater fand Geschmack an diesem Mechanismus und begann systematisch in
Landwirtschaftsgrundstücke potentieller Einzugsgebiete zu investieren. Die
Rechnung ging oft genug auf, um nach seinem frühen Tod - die regelmäßigen großzügigen
Bewirtungen von Lokalpolitikern mit Einfluss auf Umzonungsbeschlüsse hatten
ihren Tribut gefordert - seinem einzigen Sohn so viel Geld zu hinterlassen,
dass dieser bei etwas Umsicht und Geldverstand nie hätte zu arbeiten brauchen.
    Aber Umsicht und Geldverstand gehörten zu den wenigen
Gaben, die Fritz, wie ihn sein Vater auch nach der Namensänderung noch nannte,
ganz abgingen. Er war kein Zahlenmensch, sein Gebiet waren die Sprachen. Er
lernte sie leicht und gerne und hatte sich ihrem Studium über Jahre in den
Hauptstädten dieser Welt gewidmet. Er sprach neben Schweizerdeutsch, seiner
Muttersprache, fließend und akzentfrei Französisch, Italienisch, Englisch,
Portugiesisch und Spanisch. Er konnte sich auf Russisch und Schwedisch
unterhalten, und mit einem lupenreinen Bühnendeutsch könnte er auch aufwarten,
wenn er nicht die Erfahrung gemacht hätte, dass sein Schweizer Akzent besser
ankam.
    So hatte er das Leben eines internationalen Bummelstudenten
geführt, bis ihn der Treuhänder seines Vaters von dessen plötzlichem Tod
unterrichtete.
    Kurt Fritz von Allmen war erst 62 gewesen und hatte geglaubt, dass ihm noch viel Zeit
bleiben würde, seinen Nachlass zu regeln. Der Witwer hatte kein Testament
gemacht, seine momentane Lebenspartnerin ging leer aus, und obwohl er sich
über den aufwendigen Lebensstil seines Alleinerben im Klaren war, hatte er für
die Verwendung seines Vermögens noch keine Auflagen hinterlassen.
    Zu Lebzeiten hatte er Fritz an der langen Leine geführt.
Er war gelernter Landwirt und hatte keine Erfahrung mit den
Lebenshaltungskosten eines internationalen Studenten. Kam dazu, dass er stolz
war auf seinen studierten Sohn und auch darauf, es ihm ermöglichen zu können,
dass dieser es besser hatte als er damals. Allmens Vater war nicht viel
gereist. Früher, als Bauer, hielten ihn die Kühe am Ort und später die
Geschäfte. Er hatte keine Ahnung, was Hotels in Paris und New York kosteten,
wie viel man in London für Schuhe und Kleider rechnen musste und wie hoch der
Preisunterschied zwischen einem Economy- und einem First-Class-Ticket war. Was
Allmens Vater an Weltgewandtheit fehlte, hatte Allmen zu viel.
    Er wandte sich wieder seinem Buch zu. Gerade wurde Morges
angekündigt.
     
    Allmen holte seinen affektiertesten englischen Akzent
hervor, als er der Ladenbesitzerin erklärte, dass er sich bloß ein wenig
umsehen wolle. Die Frau - sie mochte um die fünfzig sein und war bei seinem
Eintreten aus einem Hinterzimmer gekommen - schaltete sofort auf Englisch um.
Falls er Fragen habe, stehe sie zur Verfügung.
    Das Antiquitätengeschäft war vollgestellt mit Regalen und
Vitrinen. Es war spezialisiert auf Porzellan und besaß ein breitgefächertes
Angebot von preisgünstigen Nippes über teure Meißener Figuren bis zu
wertvollen chinesischen Vasen und Figurinen.
    Allmen ließ sich Zeit. Ging von Objekt zu Objekt,
verweilte bei den Stücken, die sein besonderes Interesse weckten, und besah sie
vornübergebeugt und so aufmerksam, wie es eben ging, ohne die Hände zu
benutzen.
    Eine viereckige Vase, die mit »Periode Kangxi, famille
verte, chf 8300« angeschrieben war, übersah er geflissentlich und
konzentrierte sich auf vier Teetassen von leuchtendem Gelb. Tasse und Untertasse
waren mit Gold umrandet, und jede Tasse trug das Emblem der Hamburg America
Line. Das Set war mit dreihundertzwanzig Franken angeschrieben.
    »Das nehme ich«, sagte er in blasiertem Oxford English zur
Ladenbesitzerin, die ihm bei seinem Rundgang mit etwas Abstand gefolgt war.
»Wenn Sie es mir als Geschenk verpacken könnten, bitte. Einzeln, wenn möglich.«
    Und dann tat sie, was er sich erhofft hatte: Sie trug die
Tassen, je zwei aufs Mal, in den hinteren Raum.
    Während er sie mit Papier und Schere hantieren hörte,
versicherte er sich noch einmal, dass nirgends eine Überwachungskamera lauerte,
ging
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher