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Surf

Surf

Titel: Surf
Autoren: Daniel Duane
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leichten Freund mit Piepsstimme zurufen. «Kennst du die zweite Bowl drinnen im zweiten Peak? Die, wo es dich echt schnell nach draußen zieht? Ich hatte grade den geilsten Floater da runter.» Man lasse sich nicht täuschen: Der Satz enthält mehr Wissen über Wellen, als die meisten von uns in ihrem ganzen Leben erwerben: «der zweite Peak» ist eine flache Stelle des Riffs, das die kleinere von zwei Wellen erzeugt; «drinnen» bezeichnet Stellen, an denen sich die Wellen am Strand erschöpfen und noch mal kurz zu kleineren Wellen aufbauen; «die zweite Bowl» ist eine noch flachere Stelle Richtung Strand, an der die Wellen zurückprallen und sich in kleinen, kabbeligen Spitzen brechen. Bei einem Floater gleitet der Surfer über das Weißwasser einer gebrochenen Welle. Nach einer Weile kam ich mit einem gut aussehenden Typen mit kurzen roten Haaren und freundlicher Miene, der für diesen Tag genug hatte, ins Gespräch. Wie sich herausstellte, war er Lehrer für Kite-Surfing, der sich während seiner Sprünge aus einem Flugzeug ein Surfbrett an die Füße band: «Kite-Surfen, Kumpel! Da drehste ab!» Er stammte aus einer bürgerlichen Familie in New Jersey und sagte, er habe keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern, habe ihnen sein Leben nie begreiflich machen können. (So viele von uns folgen immerhin demselben Mythos!)
    Plötzlich paddelte Apollo an mir vorbei. Er kam von seiner fünfzehnten Welle zurück, für die er so viel Zeit gebraucht hatte wie ich für zwei.
    «He, Zwerg», brummelte ein Mann mit Bierbauch und Vollbart in einem schwarzen Neoprenanzug. Womit er den Jungen an sein Alter erinnerte. Der Mann hatte schwere Lider, und sein Gesicht hatte nach den vielen Jahren in der Sonne eine gewisse Gravitas. «Wir müssen mal reden.» Sein vergilbtes Ultralongboard unterschied ihn von den jungen, radikalen Surfern, den Shreddern, und hätte ihn durchaus zum indiskutablen Erwachsenen abstempeln können, aber er hatte die Statur eines Oldtimers und Soul-Surfers. Der Junge, unverkennbar der beste Wellenreiter im Wasser, blieb trotzig, war aber nervös, doch anscheinend kannte er den Mann, und außerdem war er ungefähr hundert Pfund leichter. Da Menschen im Wasser recht unbeholfen sind, werden Auseinandersetzungen unter Surfern meistens verbal ausgetragen: Und weil zwei Surfer manchmal auch bei einer Entfernung von nur zwei Metern manchmal völlig außerstande sind, aneinander heranzukommen, haben diese Streitereien oft die unfreiwillige Komik von zwei eingetopften Zitronenbäumen, die sich eine Wortschlacht liefern.
    «Du musst noch einiges lernen», sagte der Mann auf dem Longboard selbstbewusst und seiner Autorität gewiss. «Wenn du jemals wirklich cool sein willst und die Leute dich wirklich mögen sollen, darfst du kein Arschloch sein. Solange du ein Arschloch bist, ist es egal, wie gut du surfst. Du bist und bleibst ein Arschloch.»
    Ein Treffer ins Schwarze. «Ach, leck mich doch», murmelte der Junge und paddelte davon. Als er aber das nächste Mal an mir vorbeikam, schien er diese Lektion über das soziale Miteinander beherzigen zu wollen. «Pass auf, Mann», sagte er und bemühte sich tatsächlich, freundlich zu sein, «du bist grade über einer tiefen Stelle, deshalb brechen die Wellen hier nicht. Hier kriegst du garantiert keine.» Es bereitete ihm zwar sichtlich Mühe, sich zu diesem Ratschlag herabzulassen, der aber hervorragend und eine großherzige Geste war. Und dann redete er weiter und versuchte zum ersten Mal, ein großer Surfer und ein anständiger Typ zu sein. «Kannst ja mal mit raus kommen und dir ein paar schnappen», sagte er und verstummte jäh. Fast hätte er es geschafft, beinahe hätte er ein gutes Werk vollbracht, doch als er lospaddelte, rief er mir noch über die Schulter zu: «Damit du endlich besser wirst.»
     
    Es hat auch seine Vorteile, etwas auf die lange Bank zu schieben, insbesondere in einer guten Universitätsbibliothek. Sitzt man an einem Eichentisch im dritten Stock des Lesesaals mit Blick auf die über 30 Meter hohen Redwoodbäume an der Küste, die in der nebligen Brise schwanken und tropfen, vergisst man ziemlich leicht die vor einem liegende Aufgabe und fragt sich, was der Online-Katalog wohl unter dem Begriff «Surfen» zutage fördert. Nicht viel, ehrlich gesagt, aber man kann sich ja ein wenig weiter umsehen, dringende Studien zur Seite legen und die Abteilung Reise/Entdeckungen aufsuchen. Als ich in den dicken, ledergebundenen Folianten mit Goldbeschriftung und
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