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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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für Don Joaquin, dem er diese ganze Glückseligkeit verdankte – er hätte ihn neben sich haben mögen, um ihn zu umarmen. Mit ruhiger Unverfrorenheit duzte er ihn, und ohne daß auch nur ein einziger Vogel am Horizont sichtbar gewesen wäre, tobte er fortgesetzt:
    »Schieß, Dickerchen! ... Schieß! ... Sie beißen dich ja ...«
    Umsonst spähte der Jäger nach allen Seiten. Nicht eine Feder war zu sehen. »Bist du verrückt geworden?« rief er Sangonera zu. »Sammle lieber die Enten, die hier auf dem Wasser liegen!«
    Doch sein Bootsführer kauerte sich wieder nieder, ohne zu gehorchen.
    »Zeit genug! Erst müssen noch viel mehr daran glauben!«
    Da der Weinschlauch nichts mehr hergab, entkorkte Sangonera nunmehr die Flaschen und kostete bald den Rum, bald den reinen Absinth, wobei die sonnenbestrahlte Albufera sich für ihn allmählich verdunkelte und seine Beine an dem hölzernen Boden festgenietet zu sein schienen.
    Mittags rief Don Joaquin, hungrig und voll Verlangen, aus dem Gefängnis der engen Bütte befreit zu werden, nach seinem Bootsführer.
    Der Vagabund, dessen Kopf auf dem Bord ruhte, blickte starr zu seinem Herrn hinüber und wiederholte unausgesetzt: »Ich komme sofort ... ich komme sofort! ...« – aber er rührte sich nicht. Erst als der Jäger, ganz rot von all dem Schreien, auf ihn anlegte, taumelte er hoch, suchte überall die Stange, die unmittelbar neben seiner Hand lag, und stakte langsam näher. Don Joaquin sprang ins Boot. Endlich konnte man die eingeschlafenen Beine dehnen! Auf sein Geheiß begann Sangonera, die erlegten Enten aus dem Wasser zu fischen. Doch mit welch merkwürdig tastenden Bewegungen streckte dieser Bootsführer seinen Arm aus ... als ob er die Vögel nicht sähe! Auch warf sich sein Oberkörper dabei so ungestüm vorwärts, daß er ein paarmal über Bord gefallen wäre, wenn der Patron nicht zugegriffen hätte.
    »Verdammter Tölpel!« knurrte der Valencianer. »Du bist wohl betrunken?«
    Sehr schnell wurde ihm die Antwort, als er unter Sangoneras stupidem Glotzen seinen Proviant examinierte. Die Töpfe leer, der Weinschlauch schlaff und welk, die Flaschen geöffnet! Vom Brot fanden sich ein paar Krusten vor, und den Fruchtkorb konnte man über dem Wasser umkippen, ohne Angst haben zu müssen, daß etwas herausfiele.
    Don Joaquin gelüstete es, seinem Bootsführer mit dem Kolben näherzukommen; aber als dieser erste Zorn verebbt war, betrachtete er ihn maßlos verblüfft.
    »Dieses Gemetzel hast du allein angerichtet? ... Eine nette Art, fürwahr, Kosthäppchen zu nehmen! Wo hast du das alles gelassen, du Freßsack? ... In einem Menschenmagen ist doch gar nicht soviel Raum!«
    Sangonera antwortete nicht. Er stöhnte nur leise:
    »Au, Don Joaquin! ... Ich bin krank! Sehr krank!«
    O ja! Er war krank. Man brauchte nur sein gelbes Gesicht anzusehen, seine Augen, die sich vergeblich bemühten, offen zu bleiben, seine Beine, die unter ihm zusammenknickten.
    Während der aufgebrachte Jäger noch die Hand hob, um ihm eine Ohrfeige zu geben, fiel Sangonera plötzlich zu Boden, die Nägel in den Gürtel verkrallt, als wollte er sich den Bauch aufreißen. Wild bäumte sich der Leib in einer Kurve hoch; qualvolle Konvulsionen verzerrten sein Gesicht, und die Augen wurden gläsern.
    Don Joaquin blickte ratlos umher, und von neuem stellte er fest, daß ein Jagdausflug zur Albufera eine sehr verdrießliche Sache sei. Nach einer halben Stunde des Fluchens, als er sich schon dazu verurteilt glaubte, selbst nach Saler zurückstaken zu müssen, erbarmten sich seiner vorüberfahrende Bauern, die auf dem freigegebenen Teil des Sees jagten.
    Hilfsbereit, wie die Leute auf dem Lande sind, hoben sie Sangonera in ihren Kahn, während einer von ihnen sich zu Don Joaquin gesellte, wofür ihm dieser gern erlaubte, unterwegs von seiner Flinte Gebrauch zu machen. Spätnachmittags sahen die Frauen Palmars, daß man den Vagabunden wie einen Sack am Ufer des Kanals auslud.
    »Ah, dieser Tunichtgut! ... Wieder total betrunken!« riefen sie empört.
    Doch die braven Männer, die ihn auf ihren Schultern nach seiner elenden Hütte trugen, schüttelten ernst den Kopf. Nein, nein, es war nicht allein Trunkenheit! Wenn der Strolch dieses Mal mit dem Leben davonkam, besaß er wirklich eine Bärennatur!
    Sie schilderten alle Einzelheiten dieser ungeheuren Magenüberladung, die den Tod herbeiführen konnte, und die Leute staunten mit offenem Munde ... doch nicht ohne ein anerkennendes Lächeln – war es doch
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