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Suendiger Hauch

Titel: Suendiger Hauch
Autoren: Kat Martin
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Reise erneut aufnahm. Sie war sogar zu müde, um das Holpern der Räder zu bemerken, die sich durch die tiefen Rinnen auf der Straße arbeiteten.
    Die Stunden vergingen. Durch ihre gekrümmte Haltung hatten sich die Muskeln in ihren Beinen schmerzhaft verkrampft. Ihr Rücken und ihre Schultern taten weh, und ein unangenehmes, dumpfes Pochen hatte sich in ihrem Nacken eingenistet. Im Grunde war sie fast froh, dass sie weder etwas gegessen noch getrunken hatte, da sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie sich während der Fahrt hätte erleichtern sollen.
    Eingelullt vom monotonen Rhythmus der Kutsche, schlief sie wieder ein. Ihr Kopf sank auf ihre Brust, und sie begann zu träumen.
    Sie war wieder im St. Bartholomew’s Hospital und hatte sich auf dem kalten Steinboden ihrer stickigen, schäbigen Zelle zusammengekauert. Angst umfing sie wie ein schwerer, undurchdringlicher Morgennebel und schnürte ihre Kehle zu. Sie schleppte sich in die Ecke der Zelle, ihren Rücken gegen die rauen, grauen Steinwände pressend, und wünschte sich, sie könnte mit ihnen verschmelzen. Aus den benachbarten Zellen waren die anderen Insassen zu hören, und sie presste die Hände gegen die Ohren, um sich einen Moment lang der Illusion hinzugeben, dass ihre Schreie nicht zu ihr durchdringen konnten.
    Ihr Herz hämmerte in die Stille hinein, die sie in ihrem Kopf um ihrer selbst willen geschaffen hatte. Lieber Gott, sie lebte in der wahren Hölle oder zumindest der menschlichen Variante. Welcher Dämon hatte wohl einen solchen Ort geschaffen? Wie lange würde sie es hier noch aushalten können? Sie nahm das Geräusch von Schritten wahr, die sich in ihre Richtung bewegten, und das Rasseln von Ketten, als die näher kommenden Aufseher einen weiteren Unglückseligen zu seiner Zelle schleppten. Doch vielleicht kamen sie auch wegen ihr.
    Kathryn rollte sich ängstlich zusammen und wünschte sich, sie könnte sich ganz einfach in Luft auflösen. Eine Weile lang war sie ihnen entgangen, denn sie war so still und fügsam gewesen, dass sie sich selbst überlassen wurde. Doch früher oder später, wenn sie mit den anderen fertig waren, würden sie kommen.
    Die Schritte wurden lauter. Panische Angst stieg in ihr auf. Lieber Gott, lass es nicht mich sein. Irgendjemand anderes. Irgendjemand. Nicht ich! Bitte nicht ich! Dann sah sie sie. Der eine war hoch gewachsen und breitschultrig, mit aufgeworfenen Lippen und schmutzigem blonden Haar, das mit einem schmalen Lederband aus dem Gesicht gehalten wurde. Der andere war klein und dick, und sein gewaltiger Bauch ragte über den Rand seiner fettverschmierten, braunen Kniehose.
    io
    Kathryn unterdrückte ein Schluchzen, als sie kurz vor ihrer Zellentür stehen blieben. Ein Paar schwerer Eisenhandschellen hingen über dem Arm des Dicken. Durch die Gitterstäbe in der Tür hindurch warf er ihr ein wollüstiges Lächeln zu. »’n Abend, Missy Zeit fürn kleinen Spaziergang mit uns.«
    »Nein!« Sie trat ein paar Schritte zurück, während ihre Augen die Zelle verzweifelt nach einem Fluchtweg absuchten. Sie wusste, was sie von ihr wollten, was sie anderen Frauen bereits angetan hatten. Ohne genau zu wissen, weshalb, war sie ihnen immer entkommen. Bis jetzt. »Lasst mich in Ruhe. Geht weg. Ich warne euch - geht weg und lasst mich in Ruhe!«
    Der Schlanke verzog kaum die Lippen, doch der Dicke brach in lautes Gelächter aus, ein hartes, bitteres und grausames Geräusch, das Kathryn einen Schauer des Entsetzens über den Rücken jagte - und sie aus ihrem Traum hochschrecken ließ.
    Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und das Nachthemd klebte schweißnass an ihrem Körper. Sie ließ den Kopf an die Wand des Kutschkastens zurücksinken, während sie sich ins Gedächtnis rief, dass der Traum nicht wirklich gewesen war. Durch eine glückliche Fügung des Schicksals - oder vielleicht durch göttliche Hilfe - hatte sie die beiden grässlichen Wachen täuschen und dem Ende entgehen können, das sie für sie im Sinn gehabt hatten, und war aus dem St. Barts geflohen.
    Kathryn zwang sich, die Erinnerung daran zu verdrängen und tief in ihrem Inneren zu begraben und stattdessen an ihre schwer erkämpfte Freiheit zu denken. Sie war aus der Anstalt geflohen, dem Irrenhaus, in dem sie fast ein Jahr lang eingesperrt gewesen war.
    Das war alles, was sie im Augenblick wollte und woran sie denken konnte. Ihre Zukunft lag vor ihr, zwar noch schemenhaft und bedrohlich, doch zu gegebener Zeit würde sie in Ruhe darüber nachdenken, was
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