Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht
Autoren: Tami Hoag
Vom Netzwerk:
in ihr Angriffsspiel vertieft, dass die übrige Welt aufhörte zu existieren. Ein Junge jagte den anderen, um ihm einen
    Schneeball in den Mund zu stopfen, in den Rücken, in den Kragen der Jacke. Nach einem erfolgreichen Angriff wurden die Rollen getauscht und der Jäger wurde zum Gejagten. Wenn der Jäger den Gejagten nicht finden konnte, während er bis hundert zählte, bekam der Gejagte einen Punkt.
    Josh konnte sich gut verstecken. Er war klein für sein Alter und sehr raffiniert, eine Kombination, die ihm bei solchen Spielen gute Dienste leistete. Er traf Brian mit einem Schneeball am Hinterkopf, und noch bevor Brian ihn sich abgeklopft hatte, war Josh sicher hinter den Klimaanlagen neben dem Gebäude verschanzt. Die Zylinder würden während der Wintermonate mit Segeltuch bedeckt und hielten den Wind ab. Sie waren seitlich am Gebäude angebracht, ziemlich weit hinten, wo der Schein der Straßenlaternen nicht hinreichte. Josh beobachtete, wie Brian vorsichtig mit dem Schneeball in der Hand um einen Mülleimer herumschlich, auf einen Schatten lossprang, sich dann wieder zurückzog. Josh grinste. Er hatte das absolut beste Versteck gefunden. Er leckte sich die Spitzen seines
    Handschuhs und zeichnete sich selbst einen Punkt in die Luft.
    Brian arbeitete sich zu einem der verwilderten Büsche am Rand des Parkplatzes vor, die das Gelände der Eisbahn vom Festplatz trennten.
    Die Zunge zwischen den Zähnen, tastete er sich darauf zu. Er hoffte, dass Josh nicht weiter als bis zur Hecke geschlichen war.
    Um diese Jahreszeit bildete der Festplatz den unheimlichsten Ort der Welt, lauter alte Gebäude, dunkel und leer, um die der Wind heulte.
    Eine Hupe ertönte, und Brian wirbelte mit hämmerndem
    10
    Herzen herum. Er stöhnte vor Enttäuschung, als der Volkswagen seiner Schwester um die Kurve bog.
    »Los beeil dich, Brian, ich hab heute abend Spielprobe!«
    »Aber …«
    »Nichts aber, du Ratte!« keifte Beth Hiatt. Der Wind peitschte ihr eine lange blonde Strähne ins Gesicht, und sie steckte sie mit einer nackten, vor Kälte bläulichen Hand hinters Ohr. »Schwing deinen kleinen Hintern ins Auto!«
    Brian ließ seufzend den Schneeball fallen und trabte zu seiner Sporttasche und dem Hockeyschläger. Beth Blödkopf ließ den Motor heulen, legte den Gang ein, und der Wagen quälte sich die Auffahrt hoch, als würde er am liebsten hier stehenbleiben.
    Sie hatte das Theater schon einmal gehabt, und auf beide prasselte dann eine gehörige Standpauke herab; aber Brian hatte es viel schlimmer getroffen, weil Beth ihm ihren Ärger die Schuhe schob. Vier Tage lang hatte sie ihn schikaniert. Das Spiel war sofort vergessen und der letzte Amigo auch, er packte sein Zeug und rannte zum Auto. Unterwegs überlegte er bereits fieberhaft, wie er sich an seiner Schwester rächen könnte.
    Hinter der Klimaanlage hörte Josh Beth Hiatts Stimme. Er hörte, wie die Autotür zuschlug und wie der VW davonröhrte.
    Das war’s dann mit dem Spiel.
    Er kroch aus seinem Versteck und ging nach vorn zum
    Gebäudeeingang. Der Parkplatz war leer, bis auf Olies alten verrosteten Chevy Van. Das nächste Training fing erst in einer Stunde an. Die kreisförmige Auffahrt war leer. Der Schnee, von zahllosen Reifen auf dem Asphalt plattgewalzt, schimmerte im Schein der Straßenlaternen so hart und glänzend wie Marmor.
    Josh zog seinen linken Handschuh aus und schob ihn in den Ärmel seiner Skijacke, um einen Blick auf die Uhr zu werfen, die ihm Onkel Tim zu Weihnachten geschickt hatte. Groß und schwarz, mit vielen Zeigern und Knöpfen, wie die Dinger, die die Taucher trugen oder die Dschungelkämpfer. Manchmal 11
    bildete sich Josh ein, er wäre ein Dschungelkämpfer, ein Mann mit einer Mission, der unterwegs war, um den gefährlichsten Spion der Welt zu treffen. Die Ziffern der Uhr glühten grün im Dunkeln: 17 Uhr 45.
    Josh sah die Straße hinunter, in Erwartung Scheinwerfer des Minivan zu sehen, mit seiner Mom am Steuer. Aber die Straße blieb dunkel.
    Die einzigen Lichter, die zu sehen waren, schimmerten
    schwach aus den Fenstern der Häuser am Ende der Straße. In diesen Häusern aßen die Leute zu Abend, schauten die
    Nachrichten an und erzählten von ihrem Tag. Draußen erklang als einziges Geräusch das Summen der Straßenlaternen und Pfeifen des Winds, der die trockenen, kahlen Äste der
    wintertoten Bäume rüttelte. Der Himmel war schwarz.
    Er war allein.
    17 Uhr, -5,5 Grad
    Fast wäre es ihr gelungen zu entkommen. Sie hatte den Mantel schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher