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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht
Autoren: Tami Hoag
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und runzelte die Stirn, als sie die Tränen ihrer Mutter sah.
    »Mama, nicht weinen«, nuschelte sie und streckte die
    Ärmchen aus, eine stumme Bitte, sie hochzuheben.
    Hannah umschlang sie, drückte sie an sich und schluchzte um alles, was sie verloren hatte, um die Ungewißheit ihrer Zukunft.
    Angst und Furcht schlugen ihre Klauen in sie, und sie konnte nichts tun, außer ihr Kind zu wiegen und um Hoffnung zu beten.
    Es schien eine so geringe Bitte, wo sie doch soviel verloren hatte.
    Ihre Kraft entglitt ihr, und sie sank in einen alten
    Korbschaukelstuhl. Lily stellte sich auf ihren Schoß und versuchte, ihre Tränen mit den Händen abzuwischen.
    »Mama nicht weinen«, brabbelte sie.
    »Manchmal muß Mama weinen, Süßes.« Hannah küßte die
    Fingerspitzen ihrer Tochter, »manchmal müssen wir alle weinen.«
    Lily setzte sich, um sich das durch den Kopf gehen zu lassen.
    Schweigen erfüllte den Raum, während draußen der Wind seine feindseligen Attacken heulte. Hannah nahm ihr kleines Mädchen wieder in die Arme und zog es eng an sich.
    »Mama, Josh?« Lilys Daumen wanderte in ihren Mund.
    »Ich weiß es nicht, mein Herz«, erwiderte Hannah leise, den Blick auf das leere Bettchen und den zerfledderten Panda gerichtet, der einmal ihrem Sohn gehört hatte. Sie hatte ihn an dem Tag gekauft, an dem der Arzt ihr die Schwangerschaft bestätigt hatte. Fast jede Nacht seines Lebens hatte der Bär mit ihm geschlafen. Jede Nacht, außer den letzten elf.
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    »Stellen wir uns vor, daß er irgendwo in der Wärme ist«, flüsterte sie und atmete tief Lilys Kinderduft ein und schaukelte sie sanft. »Daß er keine Angst hat. Daß wir ihm fehlen – aber er weiß, daß wir ihn heimholen, sobald wir können. Er weiß, daß wir ihn liebhaben und ihn finden … weil das stimmt … das gelobe ich.«
    Sie schloß die Augen, hielt den Atem an und hielt ihr Lilybaby fest, betete um Hoffnung und die Kraft, dieses Versprechen einlösen zu können – und um den Glauben an den, der Gebete hörte und erhörte.
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    Kapitel 40
    TAG 13
    17 Uhr 54, -8 Grad
    Sie konnte das Gesicht des Jungen sehen, ein blasses Oval mit Sommersprossen, wie eine Prise Bourbon-Vanille auf Sahne. Er starrte durch sie hindurch, die blauen, leeren Augen weit aufgerissen. Dann war er weg, wie ein Licht, das ausgeschaltet wurde und sie in totaler Finsternis zurückließ.
    Wir haben eine Belohnung für dich, kluges Mädchen … kluges Luder … Eine Stimme ohne Körper, glatt und bedrohlich wie eine Schlange. Zitternd spürte sie ihr Gleichgewicht
    entschwinden, taumelte in schwarzer Leere dahin. Machtlos.
    Verwundbar. Abwartend.
    Der Schmerz traf sie aus einer Richtung, dann aus einer anderen und noch weiteren.
    Megan erwachte mit einem Ruck. Das Klinikhemd, das
    Kathleen Casey für sie organisiert hatte, klebte wie ein nasses Laken an ihrem Körper. Sie hielt Bestandsaufnahme von ihrer Umgebung, Gegenstand für Gegenstand, zwang sich, ruhig zu bleiben, Schritt für Schritt ihre Beherrschung wiederzufinden, die Angst und Desorientierung abzuschütteln. Sie war in Sicherheit und Garrett Wright hinter Gittern.
    Ob sie Josh wohl gefunden hatten?
    Der Kalender an der Wand auf der anderen Seite des Raums verkündete den Montag, 24. Januar. Im hochgehängten
    Fernseher unterhielt sich Tom Brokaw mit sich selbst.
    Sie erinnerte sich, daß Mitch sie ins Krankenhaus gebracht 685
    hatte. Danach verschwamm alles zu einem wirren Kaleidoskop.
    Ein kleiner Mann mit indischem Akzent und einer riesigen Nase, der gelassen Anweisungen gab, Fragen stellte.
    Schwestern, die ihr zumurmelten, während sie auf
    luftgepolsterten Schuhen um ihr Bett huschten. Nadeln, Schmerz. Visionen von Harrison Ford, der auf sie herabsah.
    Das war wahrscheinlich Mitch gewesen, der nach ihr schaute.
    Sie hatte den ganzen Sonntag geschlafen und fast den ganzen heutigen Tag, von Erschöpfung und Betäubungsmitteln
    ausgeknockt. Jetzt fühlte sie sich groggy und benebelt. Der Schmerz durchdrang jegliches Anästhetikum. Feine Pfeile drangen direkt von ihren Verwundungen in ihr Gehirn. Ihr rechtes Knie. Ihr linker Unterarm. Ihre Nieren. Ihre rechte Hand
    – die Hand, die geholfen hatte, Tausende von Polizeiberichten auszufüllen. Die Hand, die eine Pistole so ruhig zu halten vermochte, daß sie damit ein halbes Dutzend Schützenpreise gewonnen hatte. Die Hand, die jetzt provisorisch eingegipst war.
    Dr. Baskir, der mit der Nase und dem Akzent, war heute morgen hier gewesen, während einer ihrer
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