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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die
Autoren: Ulrich Peltzer
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der Invalidenstraße bogen die anderen in die Sackgasse, an deren Ende der Grenzübergang war.
    Lacan hielt vor der Ecke, sprang aus dem Wagen und versteckte sich hinter den kahlen Pappeln am Spreeufer. Die Schranke wurde geöffnet, und der Lancia rollte zwischen die grauen Baracken der Grenztruppen. Vor der Ruine des Hamburger Bahnhofs stand eines jener langbeinigen »Vous sortez le secteur«-Schilder, die so überflüssig waren wie Safer-sex-Poster in einem Darkroom. Lacan blieb eine Zeit in der Grünanlage, weil er an einen Irrtum glaubte und darauf wartete, daß der Wagen zurückkäme. Nichts geschah. Ein französischer Soldat ging in einer glänzenden Pelerine vor dem Schlagbaum auf und ab und löste sich im Nebel auf. Die Fahnen der Besatzungsmächte klebten an den Masten, da war kein Geräusch und keine Bewegung, nur einige Möwen kreisten als schwarze Punkte über dem Nordhafen.
    Lacan fuhr in die Stadt zurück. Tagesausflug nach Ostberlin, warum nicht? Je länger er über die Geschichte nachdachte, desto ungereimter und verworrener wurde sie für ihn. Florence zahlt seine Spielschulden, er gesteht den Diebstahl, eine Stunde später weiß Mertens alles, und jetzt fahren die beiden – sich streitend – in den anderen Teil der Stadt.
    Der andere Teil der Stadt war ein anderer Kontinent, den man alle drei Jahre betrat wie Humboldt die Amazonaswälder, Lacan wenigstens: das Kaufhaus Centrum am Alexanderplatz, die Mokkastuben, die Schönhauser Allee, der Gestank der Zweitaktmotoren, das glänzende Stadttor von Babylon und der Fries des Pergamonaltars auf der Museumsinsel.
    Schluß. Sollen sie im Osten tun, was sie wollen, er wollte heute noch den Oelze verkaufen, und Steenbergen war sein Mann.
     
    Im Café Europa war wenig Betrieb. Der Kellner stand hinter der Bar und putzte Gläser, zwei Frauen saßen bei Melange und Tee über Buch und Zeitung.
    »’n Espresso und das Telefonbuch, L–Z.«
    »Wie geht’s denn?« fragte der Kellner.
    Lacan hob die Schultern.
    »Geht so.«
    Der Kellner drückte einen Hebel an der Maschine und verfolgte gebückt, wie sich die kleine Tasse zischend füllte. Mit geübtem Schwung stellte er den Espresso vor Lacan ab und holte das Telefonbuch aus dem Küchenverschlag.
    »Na, was is’?« fragte Lacan, als der Kellner zögerte.
    »War denn Dienstag los?«
    Lacan sah ihn verständnislos an.
    »Auf’m Klo. Mit dem Heiermannluden?«
    Bevor Lacan sich erklären konnte, sagte der Kellner:
    »Müssen wir hier nicht haben. Is klar, ne?«
    »Klar«, sagte Lacan und nahm ihm das Telefonbuch aus der Hand.
    »Du hast noch ’n Bier und ’n Osborne offen!«
    »Zahl’ ich gleich mit, war in Eile.«
    Lacan streckte die Beine unter dem Tisch aus und öffnete mit den Zähnen das Zuckerbriefchen. Als ihn die eine Frau über den Zeitungsrand hinweg ansah, warf er ihr einen Kußmund zu. Sie zeigte ihm die Zunge und las weiter. Die Byrds krächzten ›Hey Mr. Tambourine Man‹, und Lacan erinnerte sich an die ersten Knutschparties in Matratzenkellern.
    Unter S fand er schnell den Namen Steenbergen. Es war der einzige Steenbergen mit Telefon in Berlin, und es bestand kein Zweifel, daß es der Holländer sein mußte. Er wippte nervös mit einem Bein. Was sollte er Steenbergen sagen? Guten Tag, ich hab’ den Oelze, kostet 50000 ? Oder vielleicht: Was ist Ihnen denn ein Oelze wert?
    Lacan wußte, er würde nicht anrufen, dächte er noch eine Sekunde länger nach. Er schmiß das Telefonbuch auf einen Stuhl und ging rasch zu dem Apparat am Ende der Bar. Sein Herz schlug bis in den Hals. Das Signal summte in der Leitung. Niemand da, dachte er schon erleichtert, als jemand abhob.
    »Belasc, bei Steenbergen.«
    »Hier ist, ist, ja, also«, sagte Lacan und räusperte sich. »Könnte ich bitte mit Herrn van Steenbergen sprechen?«
    Jedes einzelne Wort hallte in seinem Ohr nach.
    »In welcher Angelegenheit, bitte?« fragte Belasc.
    »Akademie der Künste.«
    »Einen Augenblick, bitte.«
    »Hey Mr. Tambourine Man play a song for me, I’m not sleepy and there is no place I’m going to«, sang der gläsertrocknende Kellner, und Lacan steckte einen Finger in sein freies Ohr und trat um die Ecke, wo die Toiletten waren.
    »Ja, Steenbergen.«
    »Hier ist Lacan«, und er hätte sich die Zunge abbeißen können.
    »Wer ist da?« fragte der Holländer.
    Er hat es nicht verstanden, dachte Lacan aufatmend.
    »Es geht um das Bild.«
    »Welches Bild?«
    »›Die Gehörnten‹ von Richard Oelze!«
    »Was ist damit?«
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