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Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption

Titel: Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
Autoren: Patrick Graham
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stimmt’s?«
    Shepards Unterkiefer verkrampft sich. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzt es in seinen Augen auf. Schmerz ist es, sieht Callum. Aber auch Hass.
12
    Shepard stellt den Tempomat knapp über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein. Er hat Las Vegas hinter sich gelassen und fährt auf der 95 in Richtung Indian Springs. Im Rückspiegel sieht er die letzten Häuser verschwinden. Aus dem Radio ertönt Jazzmusik. Shepard richtet den Blick wieder auf das lange Asphaltband, das sich vor ihm in der Ferne verliert. Ein verstaubtes Schild der Nevada Rangers verkündet:
    Hier beginnen die Deadlands.
    Tanken Sie voll.
    Nehmen Sie genügend Wasser mit.
    Bleiben Sie auf der Straße.
    Auf dem Asphalt tanzen kleine Staubteufel. Shepard sucht mit den Augen den Straßenrand ab. Seit er sie kennt, hat sich Barbara vor dem Sterben gefürchtet. So sehr, dass sie manchmal, wenn die Nacht kam, bleich und schweigsam wurde. Eines Abends fand er sie auf der Veranda. Sie hielt ein Glas Martini in der Hand und hatte sich in eine Wolldecke gewickelt. Er nahm sie in die Arme. Ihre Haut war eiskalt.
    »Denkst du wieder an den Tod?«, fragte er leise.
    Sie schauderte.
    »Ist es das Verwesen, das dir Angst macht?«
    »Nein.«
    »Das Leiden?«
    »Auch nicht.«
    »Was denn?«
    Sie blickte zu ihm auf und murmelte: »Ich fürchte mich davor, lebendig begraben zu werden.«
    »Wegen Naomi?«
    »Ja.«
    »Naomi ist tot.«
    Dicke Tränen liefen über Barbaras Wangen.
    »Schsch, mein Schatz. Weißt du – wenn du stirbst, lasse ich dich einfach einäschern; dann können wir ganz sicher sein, dass du tot bist.«
    Barbara zitterte am ganzen Leib, als er diesen Scherz machte, der sie beide gleichermaßen entsetzte.
    »Sag mir, dass ich nie sterbe, Peter. Versprich mir, dass du mich nicht sterben lässt.«
    »Du wirst nie sterben, Baby.«
    »Schwörst du’s mir?«
    »Ja.«
    An diesem Abend liebte er sie sanft und zärtlich, um sie zu beruhigen, um ihr die Angst zu nehmen und in der seinen aufzulösen. Das war eine Woche nach Naomis Tod, und danach redeten sie nie wieder darüber.
    Die Landschaft verändert sich, je tiefer er in die Deadlands vordringt. Rechts und links tauchen die ersten Sandsenken und Schotterfelder der Wüste auf, dahinter erkennt er Hügel und Schluchten. Weil er so intensiv an Barbara denkt, gaukelt ihm die Fantasie das Phantom ihres Wagens vor, nur ein paar Meter entfernt.
    Shepard dreht das Radio lauter und versucht, sich auf Miles Davis zu konzentrieren. Wie sehr haben sie die Trompete des alten Miles geliebt! Viel mehr als Lee Morgan, Armstrong, Al Aarons. Wenn sie abends ein bisschen getrunken hatten, kam es vor, dass sie die Musik ganz laut aufdrehten und den Meister imitierten. Shepard fängt an zu heulen, in seinem Bauch brennt es wie Feuer. Er dreht noch lauter und schlägt sich im Rhythmus des Stücks auf den Schenkel. Die Tränen rinnen ihm über die Wangen und schmecken nach Salz und Sehnsucht. Miles antwortet dem Saxofon von Coltrane und dem Piano von Red Garland. Dann verfolgt er Chambers’ Bass, ehe er Philly Jones am Schlagzeug in die Knie zwingt. Miles erdrückt sie alle. Mit einem einzigen Atemzug macht er sie nieder. Aus den Lüftungsschlitzen des Wagens dringt Barbaras Duft. Der Geruch wird lebendig. Breitet sich nach und nach im Wageninneren aus. Durchscheinend im roten Abendlicht, sitzt Barbara neben ihm. Sie hat ihm eine Hand aufs Knie gelegt. Shepard pfeift hohe Töne, die der Trompete nachjagen. Quer durch die Deadlands sind sie unterwegs nach San Francisco. Sie haben vollgetankt und zusätzlich noch zwei volle Kanister eingeladen, haben Berge von Essen und Süßigkeiten gekauft, auch Dutzende Flaschen Wasser. Es gibt Schokolade für die Zwillinge, die hinten vor sich hin zwitschern und ihre Klappern schwingen. Mit gespitzten Lippen begleitet Shepard Coltranes rasendes Solo. Er fragt sich, wie der Bursche es fertigbringt, nie Luft zu holen. Wie er auch noch beim Einatmen Töne hervorbringt. Im Rückspiegel blinzelt er seinen Töchtern zu, die ihm von hinten winken. Meredith strahlt übers ganze Gesicht. Monica drückt die Nase an die Scheibe und haucht Dunstkreise aufs Glas. Die Trompete holt das entsprungene Saxofon wieder ein, fährt ihm in die Parade und nimmt unter dem Applaus des Publikums die letzte Kurve. Sie schwingt sich in derartige Höhen hinauf, dass dem Bläser dabei leicht die Adern im Hals platzen könnten. Shepard wendet sich Barbara zu, die sein Lächeln erwidert. Er hat es
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