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Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption

Titel: Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
Autoren: Patrick Graham
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jetzt kam er ganz gut durch, weil er die meisten Fallstricke im Sodom der Wüste kennt. Manche sind allerdings unkalkulierbar, wie jetzt dieser Stau. So etwas entsteht im Handumdrehen, ballt sich zusammen, verklemmt sich, entzerrt sich wieder und löst sich auf, ehe es sich fünfzig Meter weiter erneut ineinander verkeilt und einrollt wie eine Schlange im Sand. Shepard hat nie verstanden, weshalb Barbara immer darauf bestand, quer durch Las Vegas zu fahren, statt das Flughafengelände Richtung Süden zu verlassen und die Straße nach Pahrump zu nehmen. Das sei zwar ein Umweg, aber, argumentierte er, immer noch besser, als inmitten von Huren und Kasinos im Stau zu stehen. Barbara pflegte darauf zu antworten, sie kenne nur diesen einen Weg: vom Flughafen aus die Paradise Road, dann links in die Tropicana, den Strip vom unteren bis zum oberen Ende und dort, nach dem Rathaus und zwei weiteren Querstraßen, die Abzweigung der 95 nach Indian Springs.
    Shepard zündet sich eine Zigarette an. Auf der Höhe des Restaurants Harley mit seinem riesigen Motorrad vor den Fenstern führen zwei Wagen der Polizei von Las Vegas den Verkehr auf eine einzige Spur zusammen. An ihre chromblitzenden Autos gelehnt, spähen die Beamten hinter Sonnenbrillen nach den Fahrern. Der eine kaut Kaugummi. Als Shepard bei ihm ist, kurbelt er die Scheibe herunter und fragt nach dem Polizeipräsidium. Der Bursche mustert ihn über den Brillenrand hinweg.
    »Welche Abteilung?«
    »Vermisste.«
    »Nach dem Stratosphere die Zweite rechts. Ein hellgelbes Backsteingebäude. Nicht zu übersehen.«
    Shepard will ihm danken, als der Bulle beide Hände an die Tür stützt und sich zu ihm herunterbeugt. Sein Atem riecht nach Erdbeere.
    Er fragt: »Sind Sie Peter Shepard?«
    Shepard wirft einen Blick auf das Foto, das der Mann in der Hand hält.
    »Ja.«
    »Sie werden sowieso zu einer Aussage im Präsidium erwartet.«
    Shepard schnürt es die Kehle zusammen.
    »Haben Sie den Wagen meiner Frau gefunden?«
    »Nach dem Stratosphere die Zweite rechts, Mr. Shepard. Fragen Sie nach Lieutenant Callum.«
    Der Beamte tritt zurück und fordert ihn mit einer Handbewegung auf, weiterzufahren. Die Klimaanlage rauscht verhalten. Shepard wirft einen Blick in den Rückspiegel. Der Polizist lehnt wieder an der Fahrertür seines Wagens, und in dem Moment, als Shepard schon den Blick abwenden will, zeigt er dem davonfahrenden Geländewagen verstohlen den Mittelfinger. Anscheinend schätzen es die Bullen hier nicht, wenn Leute aus San Francisco behaupten, ihre Familie sei entführt worden.
10
    Die Staubfäden in den Lüftungsschlitzen der Klimaanlage flattern im eisigen Luftzug. Der Schreibtisch von Lieutenant Callum ist mit Kaffeeflecken und den kreisförmigen Abdrücken von Bechern übersät. Verstreute Büroklammern, ein halb unter Papierstapeln verborgener Tacker, ein überquellender Aschenbecher. Shepards Nasenlöcher weiten sich, um alle Hintergrundgerüche aufzufangen. Schweiß, Tinte, kalter Rauch. Er sitzt in einem Ledersessel, dessen lockere Armlehne bei jeder Bewegung quietscht. Ein an der schmutzigen Glasscheibe des Straßenfensters befestigtes Thermometer mit Außenfühler zeigt dreiundvierzig Grad. Er blickt auf die Uhr. Eine Woge der Angst raubt ihm den Atem. Seit etwas mehr als sechs Stunden sind seine Töchter mitten in der Wüste in einem Wagen eingesperrt. Barbara, zusammengesackt auf dem Fahrersitz. Eine summende Schmeißfliege. Das Brummen des Motors und das gleichmäßige Zischen der Klimaanlage. In drei Stunden ist Nacht. Dann sinkt die Außentemperatur schlagartig ab und verwandelt das Wageninnere in einen Eiskasten. Nach Shepards Berechnungen wird bei einem Verbrauch von zwei Litern Benzin in der Stunde der Motor kurz vor Mittag mangels Nachschub stehen bleiben. Der Countdown läuft. Dann fällt auch die Klimaanlage aus, und die Temperatur steigt unerbittlich bis zum erneuten Einbruch der Dämmerung. Shepard ringt die Hände. Er stellt sich vor, wie die Mädchen nach ihrer Mama rufen. Erschöpft nicken sie ein und schrecken jäh wieder aus dem Schlaf. Sie sehen einander mit ihren kleinen Augen erschrocken an. Versuchen sich, von Schluchzen unterbrochen, gegenseitig zu beruhigen. Zerren an den Gurten ihrer Sitze, strecken einander die Hände entgegen, bis sie sich berühren. Meredith hat ihre Stoffpuppe auf den Boden fallen lassen und versucht, sie zu erreichen. Monica tritt gegen die Rückenlehne des Fahrersitzes, aber die Mama reagiert nicht. Nun beginnt
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